Die seltsame Stille deutscher Städte hat ihren Ursprung in der Isolierverglasung Baujahr nach 1980.
Wir leben hier ja in einem Lande, in dem der Isolierglaswahn soweit fortgeschritten ist, dass er beinahe
an den Glühbirnenwahn der EU-Kommission heranreicht. Zweifelsohne bildet den Hintergrund dieser
Entwicklung einerseits die Trümmerlandschaft, die dieses Land ja nun einmal war, da muss die seinerzeit
schnell hochgezogene Substanz ständig nachgebessert werden. Mehr als anderswo gibt es eine
durchgreifende Bereitschaft, alles aber auch wirklich alles, was eine Einsparung verspricht, ohne
Rücksicht, ohne auch nur einen Gedanken an die möglichen mannigfachen, widersprüchlichen Folgen zu
verschwenden, direkt umzusetzen, wenn es auch nur einen Cent Ersparnis verspricht.
Und dann sind da die alten Kerne, vor allem der Dörfer. Diese Häuser sind oft fröhlich, glücklich,
einfachverglast, trotzdem stehen sie bisweilen leer, und gehen den Weg alles irdischen.
Hm, da muss wohl eine Gemeindeverwaltung eines dieser unsäglichen Neubaugebiete ausgewiesen haben, um
einen besseren Einwohnerschlüssel zu generieren, der mehr Steuer- und Ausgleichszahlungen verspricht. Und
da stehen sie dann erratisch in der Gegend rum: Hacienda Style, oder Schwarzwalddach, mit friesischer
Terrasse. Dann diese Nagelscheeren-Rasenflächen, auf denen die wulstig- bunte Kunststoffrutsche und der
Plastiksandkasten von einer glücklichen Neubau-Kindheit zeugen. Mitten in der Eifel, da geben sich
neuerdings Reetdach und umlaufender Tiroler Balkon ein Stelldichein des wahren Individualismus. Irgendwo
da drin, das Holzhaus, des ókologisch bewussten grünen Pädagogen, der auf die osmotische Kraft der
Holzwände genauso schwört, wie auf die Dämmkraft seiner Krypton-Fenster. Kreditanstalt für Wiederaufbau,
so könnte man frech assoziieren Wie Raumstationen, ohne Bezug zur Landschaft hingerotzte,
volldurchisolierte Bauchemiebomben.
Nun ja, immerhin, vielleicht hält die Dämmung ja die Hitze draußen. Wenn aber im Winter auch fast immer
15-20 herrschen, bis auf vielleicht Januar und Februar, dann sind wir ein glücklich dämm-saunierendes
Volk, dem der Schweiß hinter der Dämmung runterläuft.
Wie auch immer - im Endergebnis finden sich praktisch keine nicht vollkommen verdichteten und
durch-isolierten Fensteröffnungen mehr. Doppelscheiben mit Zwischenbegasung und Hyperthermaldichtung
versprechen die vollkommene Abschottung von "da draußen". Nichts aber auch wirklich gar nichts dringt
mehr von drinnen nach draußen bzw. von draußen nach drinnen.
Die berühmte Szene aus Tatis "Playtime" ist nur eine kleine Vorahnung der realen Totalisolation. Ein
kleiner, alter Portier steht vor der Glasfront eines gläsernen Bürogebäudes, innen. Plötzlich erscheint
außen ein Arbeiter der durch die Scheibe, die man erst jetzt wahrnimmt, den Portier nach Feuer fragt.
Der Portier lenkt den Arbeiter unter Zuhilfenahme einer Zeichensprache
zur nächstgelegenen Möglichkeit die gläserne Isolation zu durchdringen. Die beiden gehen kurz die
Fensterfront entlang und
kommen schließlich
an
eine Tür, ebenfalls aus Glas, da muss man schon wissen, dass die da ist, oder nach kleinen
Fugenritzen tasten, man sieht sie nicht. Der Portier öffnet
die geheimnisvolle Tür, der
ganze Lärm, die ganze Atmosphäre der
Stadt bricht in den stillen gläsernen Bürotempel,
die totale Dämmung wird schlagartig aufgehoben, wie eine Welle, die mit voller
Wucht bricht, schlägt die Akustik rein. Zu laut, um sich zu verständigen, die Zeichensprache geht
weiter, bis die Zigarette endlich Feuer fängt.
Als sicher gilt die Beobachtung, dass die weniger Isolierberglasten alten Städte z.B. Italiens oder
Frankreichs, reicher sind an: Gerüchen, Geräuschen, allgemeinen Lebensäußerungen aller Art (Ehekrach,
Radio an, Singen unter der Dusche, diverse Schreie, Hunde-, Katzen- und Papageienlaute,
Haushaltsgeräte), etc.. Durch dieses "Mehr" an sinnlichen Reizen entsteht der Eindruck einer dichten und
lebendigen Atmosphäre.
Meiner Auffassung nach spielt hierbei die weniger vorhandene Isolierverglasung, Bauart nach 1980, eine
wichtige Rolle. Einfachverglasung ermöglicht einen viel effizienteren, quasi-osmotischen Austausch
zwischen drinnen/draußen. Nachdem ich nun in einem alten Haus mit Einfachverglasung seit einigen Monaten
wohne, kann ich diesen Eindruck nur bestätigen. Die "Welt da draußen" wirkt lebendiger, man ist viel
stärker Teil des Geschehens. Mittendrin, statt nur hinter Glas. Darüber hinaus scheint mir auch das
Wohnklima angenehmer und frischer. Man bekommt noch etwas von "den Elementen" mit, wenn es regnet ist
das besonders angenehm. Auch das Geräusch, was die Regentropfen bei ihrem Einschlag auf der
Glasoberfläche verursachen sind bei Isolierglas ein kaum zu vernehmendes helles, leichtes "Tocken". Hört
sich eher so an als ob ein Reiskorn auf eine mit Folie bespannte Dose trifft. Bei Einfachverglasung
dagegen, kann der Regen seine ganzen symphonischen Talente zeigen, während die einen Tropfen noch nach
hallen, schlagen schon die nächsten auf. Das erst ist das wirkliche Regenkonzert, satt, vielschichtig -
ein Soundteppich der Natur.
Doch ein weiterer, psychologischer Aspekt kommt hinzu: Durch die entstehende Ruhe entwickelt sich im
Laufe der Jahre der Eindruck die Welt sei eben so ruhig. Von draußen dringt ja auch nichts mehr herein,
da ja alle Anderen auch hinter Isolierglas hocken. Draußen übernimmt allein der unbeherrschbare Lärm der
Autos die Regie, alle anderen Geräusche sitzen ja hinter Isolierglas. Bisweilen dröhnt es aus der
Einflugschneise, oder die Bahn quietscht um die Ecke - ansonsten ein akustischer Friedhof.
Im weiteren Verlauf der Isolierglaszeit achten die Menschen mehr und mehr auf die Geräusche aus dem
Inneren des Hauses, und aus dem Inneren des eigenen Körpers und des Körpers der anderen
Isolierglasgefangenen. Es kommt wie es kommen muss: Die familiären Streitigkeiten nehmen zu. Diese sind
aber nur sichtbar, völlig still, hinter Glas Pantomimen gleich, sieht man sie wild gestikulieren,
manchmal wird es brutal - ein isolierter Gewaltexzess hinter Glas, bis der Vorhang zugezogen wird, mit
einem verschämten Blick nach draußen. Solche Szenen sieht man allerorten in der Isolierglaszeit. Alles
in totaler Stille. Schließlich erfolgt in Phase 3 der Isolierglasilitis eine esoterische Hinwendung zum
"Inneren", denn nun ist die Anpassung des Gehirns erfolgt, jedes Geräusch und sei es der eigene
Herzschlag wird als bedrohlich empfunden. Wer "The
Tell-Tale Heart" von E.A. Poe kennt, der weiß jetzt prinzipiell was gemeint ist, und auch, dass
der Isolierglaswahn in seinen erschütterndsten Momenten Symptome ganz außerordentlicher Dramatik zeigt.
TRUE! — nervous — very, very dreadfully
nervous I had been, and am; but why will
you say that I am mad? The disease had
sharpened my senses — not destroyed — not dulled them.
Above all was the sense of hearing acute.
I heard all things in the heaven and in the earth.
I heard many things in hell. How, then, am I mad? Harken!
and observe how healthily — how calmly I can tell you the whole
story.
Von all diesen Problemen wissen die glücklich, inmitten der Ereignisse wohnenden Einfachglas -
Hausbewohner in z.B. Spanien oder Italien nichts, denn sie sind mitten im prallen Leben, und tragen
jeder für sich dazu bei, dass sich diese dichte, lebendige Atmosphäre, jenes Flirren und Flimmern,
Rauschen und Brausen, Duften und Stinken, Wabern und Rabarbern ergibt, welches die alten Städte dort
prägt.
Genau diese Atmosphäre ist es, welche in den Reiseberichten der meisten Isolierglaslandbewohner den
deutlichsten Eindruck hinterlässt. Hier suchen die armen Isolierglaserkrankten nach Linderung, nach
einem Augenblick der Leichtigkeit. In schwärmerischen Geschichten von Geräusch und Krawall berichten
sie vom "Leben im Süden", vom "Lachen", von der "Freude" usw.. Wer hätte gedacht, dass sie nur ihr
Isolierglas gegen Einfachglas austauschen müssten, um all dieses zu erleben.
Sei es drum. Fassen wir zusammen.
Wir haben es im Falle der Isolierverglasung also mit einer Spirale der Isolation zu tun, die im Endeffekt
das gesamte Gemeinwesen in seinen Wurzeln tangiert, die kulturelle Praxis einer ganzen Gesellschaft
negativ beeinflussen kann. Einfachverglasung dagegen unterstützt das sinnliche und lebensbejahende
Erleben der Welt, wodurch auch im Alter lange Gesundheit und Lebensfreude möglich ist.
Vielleicht ist es ja ein Vorteil des Klimawandels, dass wir eventuell nicht weiter Isolierverglasung
einbauen müssen, sondern zur Einfachverglasung zurückkehren können, gerade im ach so kalten Deutschland.
Machen wir es uns leicht und froh - Heizungen raus, Dämmung ab, Isolierverglasung raus - scheiß auf den
ganzen Quatsch - wir wollen das Leben, das pralle Leben in einem mediterranen Deutschland - endlich,
endlich Mittelmeerklima vor der Haustür.
Ich befürchte einen großen Gedankenfehler gibt es hier, die Deutschen sind keine Süditaliener,
Südfranzosen oder sogar Nordafrikaner, Türken (kollektives :innen nachgereicht)etc. vielleicht ist die
zu erwartende
Geräuschentwicklung,
dann doch besser hinter noch dickerem Isolierglas. Dies habe ich auch in Köln, das Mallorca des
Nordens, auf dem
Brüsseler
Platz festgestellt, verglichen mit dem groovy Sound aus Stimmen, Geräuschen und Musik, meinetwegen
vor meiner Lieblingspizza in Neapel, hört es sich an, als ob ein Feldlager oder eine Schar
Pfadfinder, Rentner auf Kaffeefahrt, über die Stränge schlagen. VW Betriebsfest. Es fehlt der
Groove, die fein abgestimmte Melodie, das routinierte Abspulen des Tropenprogramms, nach tausende von
Jahren alten, feinsinnigen, in das Unterbewusstsein übergegangen Regeln. Also muss
wahrscheinlich noch viel Zeit vergehen, bis
aus tropischen
Nächten auch groovy Nächte werden. Sie sind einfach noch zu unerfahren, diese Bleichgesichter aus
dem Norden mit ihrer Pulle Bier (bzw. gelbes Wasser) und dem schlechten Essen. Da müsste man ein
Tropenministerium gründen
und südlichen Lebensstil als Schulfach aufnehmen. Weitere Amtssprachen wären auch nicht schlecht,
denn dieses seltsam präzise Staccato, dieses harte Trommeln des Deutsch, das will auch nicht so recht
mit südlichen Nächten harmonieren. Es muss zu einem Sing Sang in warmer feuchter Luft werden, das ist
eine wirklich schwierige Aufgabe - man glaubt ja gar nicht, was der Klimawandel alles ändern wird.
Manches vielleicht auch zum Guten, denn wahrscheinlich denken sie, wie sie reden, in perfekten und
manieristisch präzisen Staccatos. Ähnlich einem Maschinengewehr.