Die fotografische Abbildung fremder Länder und deren Bewohner im populären Raum jener Zeit war allerdings noch von weiteren wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Motiven und Darstellungsweisen geprägt. Vom 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein blieb die Anthropometrie, die wissenschaftliche Vermessung des menschlichen Körpers, eine der wichtigsten Methoden in der Anthropologie (Abbildung 2).
Im Rahmen der anthropometrischen Messungen wurde insbesondere die Fotografie zur Dokumentation der Messungen eingesetzt. Um eine vermeintliche Wissenschaftlichkeit der Aufnahme und Abbildungen zu erreichen, mussten Michael Wiener folgend bestimmt Kriterien beachtet werden: a) Vermeidung perspektivischer Verzerrungen und Unschärfen durch eine gerade Projektion mit horizontal installierter Kamera; b) Nacktheit des Motivs, um körperliche Auffälligkeiten erkennen zu können; c) Die optimale Ausleuchtung, um Umrissen und Proportionen hervor zu heben; d) Festgelegte Formate der Negative und Abzüge; e) Installation einer Messlatte, um den Maßstab im Bild selbst sichtbar zu machen; f) Mehrere Ansichten bei Portraitaufnahmen, bei einer bevorzugten Frontalperspektive; g) Metadatierung der Negative, mit Angaben wie Namen, „Stamm“, Geschlecht, Alter. Farbangaben, zum Beispiel der Hautfarbe, waren aufgrund der schwarz-weiß Technik besonders wichtig (Wiener 1990: 119). Diese Kriterien wurden zwar nur selten als Gesamtkomposition erfüllt, häufig wurden einzelne Aspekte berücksichtigt, dennoch galt die Anthropometrie[36] bis ins 20. Jahrhundert hinein als wichtige Methode der Anthropologie. Abbildung 2 zeigt eine derartige Vermessung an einem Sträfling, wobei hier die Metadaten nicht überliefert sind. An dieser Fotografie lässt sich noch ein weiterer Aspekt erkennen, die Vereinnahmung und bereitwillige Teilhabe der Wissenschaft am Kolonialismus. „Messlatte und Fußfesseln als Symbole der neuen Zeit“, so Albert Wirtz (Wirtz 1982: 50). Die leichte Verfügbarkeit von Sträflingen in den Kolonien führte zu häufigen Aufnahmen dieser Personengruppe. Noch 1912 wurde Franz Seiners Beobachtungen und Messungen an Buschleuten (Seiner 1912) als wichtiger Fachbeitrag gefeiert (Wiener 1990: 120). Seiners „Beobachtungen“ sind in einem direkten Zusammenhang mit der deutschen Kolonialherrschaft im heutigen Namibia zu sehen. Sie sollten neben dem wissenschaftlichen Nutzen einen praktischen Beitrag liefern, die „dringend gewordene Lösung der Buschmannfrage“ zu klären (Seiner 1912: 280). Die Datensammlung von Seiner, sowohl fotografische, anthropometrische Daten sowie Daten zu Flora und Fauna, wurden von der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte als „ausgezeichnete Bereicherung unserer Fachsammlung“ (Staudinger in Seiner 1912: 276) gelobt, insbesondere die zahlreichen Fotografien. Großes Interesse von Seiten der Ethnologie bestand insbesondere an den Nacktaufnahmen von „Buschleuten“, die Seiner machen sollte und auch tatsächlich anfertigte. Es wurde besonders viel Wert auf die Darstellung der Genitalien gelegt. „Schon wieder liegt eine grosse Menge von Buschmannphotographien vor. Ganze Serien von Abbildungen der Männer, bei welchen man die von Hr. v. Luschan und anderen des öfteren erwähnte halberigierte Form des Penis, das stramme Skrotum usw. gut sehen kann.“ (Staudinger in Seiner 1912: 276). Aus heutiger Sicht sind es Fotografien, die keinerlei Respekt vor den dargestellten Menschen zeigen. Der Mensch wurde auf seine körperliche Erscheinungsform reduziert. Eine Sichtweise, die die Darstellung des Fremden in weiten Teilen des populären Raums ebenfalls bestimmte.
Dass die abgelichteten Personen diese Aufnahmen nicht immer freiwillig über sich haben ergehen lassen verdeutlicht eine Sitzung Berliner Gesellschaft. So bedauert Felix von Luschan, dass die in Castan’s Panoptikum gastierenden Mitglieder einer als „Abessiner“ angekündigten Gruppe sich nicht vermessen lassen wollten.
„Umso bedauerlicher erscheint es mir, dass wir uns auf eine ganz oberflächliche Besichtigung beschränken müssen; es scheint nicht möglich zu sein, die Leute zu messen oder auch nur nach wissenschaftlicher Art zu photographieren. Nicht einmal Hand- oder Fußabdrücke wollten sie von sich nehmen lassen.“ (Luschan 1905: 160).
Dennoch galten gerade die nach Europa oder Nordamerika verschleppte oder angeheuerte autochthone Bevölkerung aus Ländern, die als möglichst fremd und exotisch galten und im Rahmen der Völkerausstellungen auf Welt- und Kolonialausstellungen, Jahrmärkten, Gaststätten, Panoptika und zoologischen Gärten einem überaus zahlreichen Publikum präsentiert wurden, als leicht verfügbare Gruppe für wissenschaftliche Zwecke. „Wo immer ein Eingeborener auftauchte, waren die Vertreter der Naturwissenschaften sofort zur Stelle, um aufzuzeichnen, was sich ihren Blicken darbot“ bemerkt Bitterli nicht ohne Ironie (Bitterli 1976: 188), denn der wissenschaftliche Nutzen war doch mehr als zweifelhaft. Die Verflechtung von Wissenschaft und Völkerschaugewerbe war sehr eng. Franz Boas, Adolf Bastian oder Rudolf Virchow sind nur einige der klingendsten Namen, die zum Teil selber aktiv an der Beschaffung oder Präsentation der Teilnehmer beteiligt waren (Schwarz 2001: 113; Wörner 1999: 67). Fotografien von Völkerschauteilnehmern finden sich in anthropologischen und ethnografischen Standardwerken der Zeit und dienten in populärwissenschaftlichen Werken über verschiedene „Menschenrassen“ als Illustrationsmaterial. Körpervermessungen galten als der beste Beleg, um die „Echtheit“ der „exotischen Menschen“ zu beweisen. Die Aufnahmen am Ort der Schaustellung wurden häufig von professionellen Fotografen angefertigt. Ein schon berühmt gewordenes Beispiel ist die Fotografie der sogenannten „Zuluprinzessin“ Assambola, die im Berliner Panoptikum mit einer Gruppe von „Zulukaffern“, so die damalige offizielle Bezeichnung, gastierte und von dem Fotografen Carl Günther porträtiert worden ist. „Entblößt“ und in „martialischer Tracht“ dargestellt, gehörten Günthers Aufnahmen zu den äußerst populären seiner Zeit und wurden in ethnologischen Standardwerken aufgegriffen (Goldmann 1987: 91). Das besondere an diesen Fotografien liegt in den Aufnahmebedingungen begründet. Bei diesen Aufnahmen handelt es sich um eine gleichsam „kontrollierte Wildheit“ (Wiener 1990: 126). Eine imaginierte Wildheit, die mit oder ohne wissenschaftlichen Begleittext als „imaginäre Ethnografie“, in Anlehnung an Fritz Kramer (Kramer 1981: 8) wie weiter oben bereits ausgeführt wurde, bezeichnet werden kann, in dem Sinne, das nicht von einem Quellenwert für die Ethnologie gesprochen werden kann, sondern von einem Quellenwert zur Erforschung des Eigenen.
Der Völkerkundler Alfred Lehmann wusste noch 1955 zu berichten, wie nachhaltig die Völkerausstellungen im Leipziger Zoo auf ihn gewirkt haben und das seine Besuche dort geradezu der Stein des Anstoßes für sein späteres Völkerkundestudium waren (Lehmann 1955: 31). Bemerkenswert an dem Artikel ist, dass Lehmann seine Besuche der Schauen noch rückblickend als einen doch wichtigen Wert für die sich Ende des 19. Jahrhunderts schon recht weit etablierte Völkerkunde darstellte.
„Mochten die gezeigten Individuen auch in kultureller Beziehung nicht mehr ganz „rein“ sein. Mochte auch die Hand eines gerissenen „Regisseurs“ bei den Darbietungen der einzelnen Truppen ein wenig „corriger la folklore“ gespielt haben, der anthropologische und linguistische Tatbestand zum mindesten war nicht zu verändern und vermittelte uns einen leidlichen Anschauungsunterricht.“ (Lehmann 1955: 31).
Der manipulative Charakter derartiger Ausstellungen wird zwar gesehen, dennoch wird der wissenschaftliche Nutzen betont. Viele Ethnologen der Zeit hatten selber keine oder nur begrenzte Reiseerfahrungen, was zu dieser positiven Bewertung geführt haben mag.
„Kontrollierte Wildheit“ fand sich noch in einer anderen Form, der transportablen, beziehungsweise in den Heimatländern der Abgebildeten installierten Studios. Deren Interieurs waren ganz der europäischen Salonkultur und Studiotechnik nachempfunden, was auf die zu Porträtierenden sehr befremdlich gewirkt haben muss. Der Fundus an Requisiten war weitgehend standardisiert. Es lassen sich zwei typische Aufbauten voneinander unterscheiden. Entweder bildeten die als landes- und kulturtypisch klassifizierten Alltagsgegenstände die „natürliche“ Kulisse (Abbildung 3) oder es wurde ein Arrangement zwischen europäischer Studio- und Salontradition als Kulisse und der einheimischen Bevölkerung als „wilde Hauptdarsteller“ getroffen (Abbildung 4). Die erstgenannten Aufbauten zeichneten sich meist, Modifikationen lagen nur in der Ausgestaltung der Aufbauten vor, durch eine großformatige Hintergrunddarstellung in Form einer Bildtapete oder bemalten Leinwand, künstlichen Pflanzen, mehr oder weniger landestypischen Alltagsgegenstände, als prototypisch empfundene Kleidungsstücke und Ritualgegenstände aus. Im zweiten Fall wurde die ganze Szenerie zu einer Groteske. Meist wenig bekleidete oder völlig nackte Personen, bevorzugt Frauen, der autochthonen Bevölkerung wurden hier in einer europäischen Kulisse mit Stilmöbeln, antiken Säulen und ähnlichem Zierrat abgelichtet. Beide Studioaufnahmen sind gekennzeichnet durch Idealisierung und „schwülstiger exotischer Erotik“ (Wiener 1990: 128) auf der einen Seite, Abwertung und Betonung der gängigen Vorstellung von Primitivität auf der anderen.


Die Inszenierungen der Studio- und Salonfotografie ist ihrem Charakter nach vergleichbar mit den Aufnahmen, die im Rahmen der Völkerausstellungen als Illustrations- und Werbemaßnahmen hergestellt wurden. Die Bild- und Textberichterstattungen über diese Ausstellungen nahm einen breiten Raum im medialen Raum ein. Die Ausstellungen fremder Menschen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begannen ihre Präsentation oder Repräsentation der Fremden als eine Inszenierung des Sensationellen. Die Betonung lag auf der Darstellung einer möglichst außergewöhnlichen Attraktion, wie bei der 1881/82 ausgestellten Gruppe autochthoner Bewohner Südamerikas, die mit der Schlagzeile „Kannibalen aus Feuerland“ in der Presse angekündigt wurde (Eißenberger 1996: 151). Die immer wieder gestellte Frage nach dem „Echtheitscharakter“ der Teilnehmer konnte mit einer derart sensationsheischenden Aufmachung nicht beantwortet werden. Schon bald erkannten die Veranstalter die Notwendigkeit, sich und ihr Unternehmen einen seriösen, möglichst der Wissenschaft nahestehenden Anstrich zu geben. Als Anlaufstelle breiter Schichten der Bevölkerung, aber auch für Bildungsbürgertum und Wissenschaft sollten die Schauen dienen. Die Veranstalter stellten sich auf die gleiche Stufe mit einem Museumsleiter, der seine „Objekte“, einem Bildungsideal folgend, der breiten Masse der Gesellschaft präsentierte, was ein echtes Novum war (Schwarz 2001: 67). Die Repräsentation der Fremden in der Heimat änderte sich damit gewaltig. Waren es vorher abgezäunte Tiergehege, die von den Besuchern nur aus größerer Entfernung betrachtet werden konnten, wurden nun ganz nach dem Vorbild der Weltausstellungen begehbare „ethnografische Dörfer“ aufgebaut, in denen das Publikum sich frei bewegen konnte und den ausgestellten Menschen bei der Verrichtung alltäglicher Arbeiten zu sehen konnte. Nach einem festgelegten Zeitplan wurden zusätzlich für besonders typisch erklärte Fertigkeiten der einzelnen Gruppen, wie zum Beispiel Tänze, Gesang, Kämpfe, Tierdressuren oder artistische Übungen aufgeführt. Der Dorfcharakter schuf eine Art Scheinwelt, die zwar gelenkt und inszeniert war, dem Besucher aber ein Höchstmaß an Bewegungsfreiheit bot. Dem Publikum wurde der Eindruck einer scheinbar authentischen Vorführung „ursprünglichen Lebens“ der autochthonen Bevölkerung vermittelt (Schwarz 2001: 64). Die imaginären Vorstellungen speisten sich aus den bereits vorhandenen Bild- und Texterzeugnissen der Zeit, gleichzeitig wirkte die Berichterstattung über die Ausstellungen auf den medialen Raum ein und vervollständigte das Bild vom Fremden dieser Zeit. Anhand der Völkerausstellungen ließen sich darüber hinaus die Bild- und Texterzeugnisse der Zeit durch eigene Anschauung überprüfen. Das nur Abgebildete und Geschriebene wurde in der realen Welt getragen, gleichsam als „fleischgewordene“ oder dreidimensionale Imagination, eine reale Erfahrung für jedermann. Wie in kaum einer anderen Inszenierungsform wurden die Zuschauer so umfassend und in ihrer Gänze, alle Sinne einnehmend, mit dem kulturell „Fremden“ konfrontiert. Fremde Gerüche, exotische Laute von Menschen und Tieren, fremdartiges Aussehen und Gebaren der Zurschaugestellten kann als ein „Rausch“ der Sinne bezeichnet werden. Die Grenzen der eigenen Lebenswelt lösten sich zumindest für die Dauer des Besuches auf. Die Ausstellungen exotisch stilisierter Menschen wurden somit Teil einer „Kultur des visuellen Vergnügens“ (Schwarz 2001: 17).
4.3.3 Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – Bilder sind Zeichen
Die bildliche Darstellung ist wie kaum ein anderes Medium geeignet die Sinne des Menschen in ganz beeindruckender Art und Weise anzusprechen. Der visuelle Sinn ist wohl der am stärksten wirkende. Beinahe das gesamte Bild der Welt setzt sich aus der Wahrnehmung ihrer visuellen Erscheinung zusammen. Das Erscheinen von Bildern ist so direkt an der Nahtstelle zwischen Wahrnehmung und Interpretation anzusiedeln.
Mit Wieners Ausführungen ist deutlich geworden, dass ein Bild mehrere Dimensionen repräsentiert. Es ist zum tiefgreifenden Verständnis der Wirkungsweise einer Abbildung jedoch erforderlich, weiter zu abstrahieren. Beginnend mit der Überlegung, dass Bilder nicht nur Abbild sind, also mehr oder weniger komplexe visuelle Muster darstellen, folgt daraus, dass Bilder immer über sich hinausweisen. Damit wird ihr Charakter als Zeichen manifestiert. Sie sind Projektionsfläche dessen auf das sie sich beziehen. So kann Martin Seel mit Recht behaupten: „Bilder, mit einem Wort, sind eine besondere Art von Zeichen. Sie bieten etwas dar, sie beziehen sich auf etwas, das auf ihrer Oberfläche sichtbar ist“ (Seel 2000: 258). Von Wichtigkeit in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Entstehungsgeschichte, die technische Seite der Erstellung eines Bildes, sowie der Grund seines Entstehens zwar wichtige Anhaltspunkte geben, aber keineswegs erschöpfend das Bildzeichen, welches sich aus der oberflächlichen, im wahrsten Sinne des Wortes „Oberfläche-Darstellung“ ergibt, erschöpfend erklären können. Wiederum Martin Seel folgend:
„Ein fotografisches Bild hingegen wird nicht allein dadurch zum Bild, daß es von den von seinen Gegenständen ausgehenden Lichtreflexen verursacht wurde. Soweit wäre es – das Negativ oder ein Abzug – nichts weiter als ein visuelles Muster. Dieses wird zum Bild, indem es die Verwendung erhält, aus einer Situation auf eine andere Situation zu verweisen“ (Seel 2000: 262).
Erst durch die ein visuelles Muster umgebenden Konnotationen kann es zum Bild und damit zum Zeichen werden. Hier findet sich der eigentliche Kern der Externalisierung neuronaler Inhalte, die aus der Tradition der vorwiegend mündlichen Überlieferung stammen und die nun als massenhaft reproduzierte, akkumulierbare Abbildungen aller Art zur Verfügung stehen. Hier entstand eben auch eine Vielzahl an Fotografien und Illustrationen mit dem kulturell Fremden als Bildmotiv. Eine weitere Differenzierung bringt der Vergleich mit Buchstaben, die ebenfalls als Zeichen zu sehen sind. Bei Buchstaben und vergleichbaren Zeichen, wie Hieroglyphen, kommt es nur im geringen Maße auf die Exaktheit und Präzision ihrer Ausführung an. Es reicht im Wesentlichen halbwegs leserlich zu schreiben, bzw. zu drucken, um einen Text, einen Buchstaben korrekt zu interpretieren. Beim Bildzeichen hingegen ist eine große Fülle an Konnotationen und Subkontexten zu beachten, damit im Auge des Betrachters die gewünschte Zeicheninterpretation möglich wird. Die Fotografien, die im Rahmen der Völkerausstellungen entstanden sind, sowie die Aufnahmen im Zusammenhang mit den „transportablen Studios“ und der „Salonfotografie“, demonstrieren den angesprochenen Zusammenhang. Ganz präzise, mit immer gleichen Aufbauten, Requisiten und Positionierungen im Raum wird eine eigene Bildsprache der Abbildung des kulturell Fremden etabliert. Der Federschmuck, die dürftige Bekleidung, die Bewaffnung mit diversen „primitiven“ Waffen, Raubtierfelle, ein irgendwie an Wildnis erinnernder Bildhintergrund, sowie häufig auftauchende Symbole der kolonialen Herrschaft, alles wurde akribisch genau drapiert und dekoriert, um in dem dieser Bildform eigenen Syntax die gewünschten Inhalte zu vermitteln.
Diese Zeichen im Bildzeichen können als Syntaktik der Fotografie des kulturell Fremden im wilhelminischen Deutschland verstanden werden. Es kann von einer Gedrängtheit an syntaktischen Zeichen in den Abbildungen gesprochen werden. Ausgehend von dieser Gedrängtheit kann, wiederum mit Martin Seel, eine weitere Ebene ausgemacht werden:
„Gedrängt sind bildliche Darstellungen auch insofern, als sich viele ihrer konstitutiven Merkmale je für sich auf etwas beziehen können; sie stellen keineswegs nur alle zusammen etwas als etwas dar. Viele der einzelnen Partien eines gegenständlichen Bildes dienen der Charakterisierung des Bildinhaltes – man denke nur an ein Porträt oder ein Unfallfoto. Auch ein beliebiges Stück vieler Bilder gibt eine reichhaltige Charakterisierung der auf ihm sichtbaren Gegenstände“ (Seel 2000: 263).
Auf sich selbst bezogene Charakterisierung des eigentlichen Gegenstandes, aber auch kaskadierende Charakterisierungsfülle, der zur Charakterisierung verwendeten Subkontexte. Erst in dieser eigentlich philosophischen Betrachtungsweise eines Bildes ergibt sich die ganze Fülle und die mannigfaltige Wirkungsweise eines Bildes. Ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte.
Nach der Relevanz gefragt, ergibt sich diese vor allem aus der Bedeutung im Entstehen imaginärer Orte, Landschaften und Kulturen in einer Ethnologie der Imagination. Durch die mannigfaltig angedeutete Repräsentation imaginierter Inhalte entsteht aus einem Bild eine Vielzahl an Fantasiebildern, die sich unter anderem zum Panorama des imaginären kulturell Fremden, einer vermeintlich realen Fremde zusammensetzen. Zurückkehrend zur Eingangssituation, dass eben der visuelle Sinn ein stark ausgeprägter Sinn ist, wird deutlich welche Macht diese Konnotationen in den Köpfen und Einschätzungen der Massen entfalten. Ganz und gar ausgeliefert den Bildzeichen, die für die meisten Menschen nicht zu entschlüsseln sind und so unterbewusst wirken, gehen imaginierte Inhalte als Tatsachen in das kollektive kulturelle Gedächtnis ein und prägen ganze Generationen und deren Bild vom kulturell Fremden.