Torys in Sachen Ruanda
Die Geschichte der Abschiebepartnerschaften ist lang. Derzeit wird dieses unmenschliche Verfahren von Johnsons Torys in Sachen Ruanda probiert. Das hat der Gerichtshof für Menschenrechte provisorisch gestoppt und an die Gerichte der Insel zurücküberwiesen.
Doch auch die EU hat derartige Abschiebepartnerschaften im Sinn. Die Idee ist, das Asylverfahren in Herkunftsländer zu verlegen. Das ist natürlich kein rechtsstaatliches Vorgehen aus vielen Gründen, die wichtigsten:
- Die Herkunftsländer sind fast nie Rechtsstaaten. Eine Rechtsstaatlichkeit der Verfahren ist nicht möglich.
- Die Herkunftsstaaten sind fast ausnahmslos sehr korrupt und haben keine funktionierenden mehrstufigen Verwaltungen, bei denen ein Verfahren ohne die Zahlung von Bestechungsgeldern gewährleistet werden kann.
- Es ist in diesen Ländern für die meisten Menschen nicht möglich, einen Rechtsbeistand zu bekommen und zu finanzieren.
- Die Asylgesetzgebung des Westens wird kolonial exportiert und entterritorialisiert. Damit wird eine koloniale Rechtssprechung geschaffen, die mit den Herkunftsländern abgesprochen wird. Diese sind aber keine Demokratien, also ist es den Leuten dort nicht möglich an diesem Prozess des Exportes von Recht aus dem Westen zu partizipieren. Die jeweiligen westlichen Regierungen treffen Absprachen mit nicht legitimierten Regierungen, also mit Cliquen.
- Die Schleuserbanden werden auf einen höheren Level gehoben, denn nun können sie direkt den Asylverfahren durchführenden Staat unterwandern und so nicht mehr nur die Flucht organisieren, sondern das gesamte Verfahren.
- Die Fluchtursachen bleiben, wer sich nicht auf dieses hanebüchene Verfahren einlassen will, der wird die bisherigen Routen nehmen, auch hier sticht das Schleuserargument nicht, denn diese Ideen sorgen dafür, dass die Schleuser, so es sie gibt, noch mehr verdienen und auch ihren politisch sozialen Einfluss ausbauen können.
- Es wird zu gewaltsamen Verfahren und Abschiebungen kommen. Wir schauen uns unten das historische Beispiel aus Deutschland und die Gegenmaßnahmen der Aktivisten an, die sich explizit gegen die durchführende Airline – Lufthansa – richtete. Offiziell ist Lufthansa aus dem Geschäft mit Abschiebungen ausgestiegen.
- Der Hebel ist in jedem Fall der eigentliche Flug und die dafür erforderliche Technik sowie das Personal. Man sollte die Briten zwingen, das ganze militärisch organisieren zu müssen, dann kann man zeigen welche unmenschliche und verachtenswerte Realität diese Abkommen bedeuten. Zivile Fluggesellschaften sollten Nein sagen, Piloten und Bodenpersonal müssen sich weigern, diese Flüge abzufertigen. Soll es die Air Force machen. Ansonsten ist der Ansatz aus der Aktion Deportation Class, der in das Corporate Image zielt zu empfehlen.
Deportation Class
Jährlich werden in Deutschland mehrere Tausend Menschen1 über den Luftweg in ihre Herkunftsländer ausgeflogen, viele von ihnen2 mit Linienflugzeugen der Deutschen Lufthansa AG. Das geschieht oftmals gegen den erkennbaren Widerstand der betroffenen Menschen. Der gewaltsame Erstickungstod des sudanesischen Geflüchteten Mohamed Aamir Ageeb auf dem Linienflug LH 558 von Frankfurt nach Khartum am 28. Mai 1999 war für das Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“3 und die Solidaritätsinitiative „Libertad!“4 Anlass dafür, im Mai des Jahres 2000 mithilfe der antirassistischen Kampagne „Deportation.Class – Gegen das Geschäft mit Abschiebungen“ auf die Beteiligung der Deutschen Lufthansa AG an Abschiebungen von Flüchtlingen aufmerksam zu machen.
Mohamed Aamir Ageeb war nicht der erste Schutzsuchende, der im Zuge einer Abschiebung durch die Deutsche Lufthansa AG ums Leben kam. Bereits im August 1994 war der Nigerianer Kola Bankole an Bord einer Lufthansa-Maschine nach empfindlichen Maßnahmen der begleitenden Beamten des Bundesgrenzschutz gestorben. Weitreichende Konsequenzen hatten diese beiden tödlichen Abschiebungen für das Vorgehen der Fluglinie nicht. Das Ziel der Kampagne war es, öffentlichen Druck auf die Deutsche Lufthansa AG auszuüben, sowie Bordpersonal und Passagiere zum Eingreifen aufzufordern, um einen Ausstieg der Lufthansa aus dem Geschäft mit Flüchtlingsabschiebungen zu erwirken. Dabei beschränkten sich die Initiatoren nicht nur auf Plakatwettbewerbe, Informationsstände und Protestaktionen im realen Raum, sondern riefen auch zu der ersten großen „Online-Demonstration“ in Deutschland auf.
Zielsetzung dieser Arbeit ist es, die antirassistische Kampagne „Deportation.Class – gegen das Geschäft mit Abschiebungen“ zunächst auf ihren formalen und strukturellen Aufbau hin zu untersuchen, im Weiteren den aktivistischen Umgang sowohl mit der Corporate Identity als auch dem Corporte Image der Deutschen Lufthansa AG aufzuschlüsseln und die Nutzung der Möglichkeit von netzbasiertem Aktivismus aufzuzeigen. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt bezüglich der von der Kampagne ausgerufenen „Online-Demonstration“ soll abschließend die Frage der Reichweite und Wirkungskraft solcher Protestformen diskutiert werden.
Gegenöffentlichkeit
Der Begriff der Gegenöffentlichkeit umfasst Aktivitäten zur Verbreitung von Informationen, die zwar von Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben sind, jedoch aufgrund von Selektionskriterien massenmedialer Berichterstattung, die zum Teil von Macht und Profitinteressen gesteuert sind, nicht in eine breite Öffentlichkeit vordringen. Sie werden somit auch nicht Bestandteil der Massenkommunikation oder von öffentlichen Diskursen. (vgl. Plake/Jansen/Schuhmacher 2001:25). Die Kampagne „Deportation.Class“ machte sich sowohl den Ansatz der alternativen Öffentlichkeit als auch den der Kampagnenöffentlichkeit zur Konstitution von Gegenöffentlichkeit zu eigen (vgl. ebd.). Die Aktivisten setzten selbst initiierte Publikationsmittel und Aktionsmaterialien ein: Sie schrieben einen Plakatwettbewerb aus, betrieben Websites und verteilten Flyer (alternative Öffentlichkeit). Ferner bewirkte die Kampagne durch Protestaktionen, durch „Unsichtbares Theater“ und durch „Happenings“5, dass sich auch traditionelle Medien dazu veranlasst sahen, sowohl über die eigentlichen Aktionen zu berichten, als auch die Hintergrundinformationen und Beweggründe für die Proteste zu benennen (Kampagnenöffentlichkeit).
Im Folgenden sollen die von den Aktivisten gewählten Formen zur Konstitution von Gegenöffentlichkeit, sei es von alternativer Öffentlichkeit oder von Kampagnenöffentlichkeit, im realen Raum und im virtuellen Raum des Internets diskutiert werden.
Subversive Rekordierung
Das aktivistische Repertoire der Kampagne „Deportation Class – gegen das Geschäft mit Abschiebungen“ erschöpfte sich nicht allein darin, Informationsbroschüren und Transparente der Corporate Identity der Deutschen Lufthansa AG anzugleichen und mit Informationen zu der Beteiligung der Lufthansa AG an Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern anzureichern. Auch wenn dies wichtiger Bestandteil der antirassistischen Proteste war, so wurde vor allem aber Wert darauf gelegt, in Kontakt mit den möglichen Rezipienten zu treten. Das geschah zum einen durch den ausgerufenen Plakatwettbewerb mit anschließender Wanderausstellung der eingereichten Arbeiten, zum anderen durch Informationsstände und Happenings. Denn auch wenn durch den Prozess der subversiven Rekordierung zumeist bereits ein System von Differenzen, und damit kommunikative Konnektoren für Rezipienten ausgebildet werden, müssen den Informationen in aller Regel konkrete Handlungs- genauer gesagt Diskussionsgrundlagen folgen, um gesellschaftliches Handeln zu bewirken. Die Kampagne distanzierte sich damit von dem von Geerd Lovink als „Megaphonmodell“ (autonome a.f.r.i.k.a gruppe 1997b:178) bezeichneten Verständnis von Gegenöffentlichkeit. Dieser Ansatz stützt sich auf die Annahme, dass richtige und aufklärende Informationen politisches Handeln zur Folge haben. Bei dem dabei unterstellten „kausalen Zusammenhang zwischen Information, Bewusstsein und Handeln“ (ebd.) werden die Selektionskriterien der Rezipienten, die auf dem „Interesse, gesellschaftliche Wirklichkeit in einer Weise wahrzunehmen, die die eigenen Selbst- und Gesellschaftskonzepte legitimiert“ (ebd. 179) gründen, außer Acht gelassen. Auch wenn sich diese Konzeption, die sich auf den Glauben an das emanzipatorische Potenzial der Massenmedien stützt (vgl. Enzensberger, 1970:116), auf eine seit Jahrzehnten erprobte Praxis berufen kann, scheinen ihre tatsächlichen Folgen beschränkt, sollten nicht konkrete Handlungsanweisungen folgen: „Erst aus dieser Handlungsmöglichkeit könnte sich ihr Interesse am Realismus rekrutieren“ (autonome a.f.r.i.k.a gruppe 1997b:179). Die Kampagne „Deportation.Class“ beschränkte sich dabei nicht nur auf die Möglichkeit des gleichberechtigten Austausches, und saß damit, nebenbei bemerkt, nicht der Mystifikation von Massenmedien als potenzielle basisdemokratische Instrumente auf, sondern bot zudem Interaktionsmöglichkeiten für Interessierte. Nachgestellte Szenen von Abschiebungen mit all ihrer Brutalität sollten die Zuschauer emotional berühren und zur Kommunikation anregen. Die Möglichkeit der Rezepientenbeteiligung unterscheidet die Kampagne deutlich von den ebenfalls mit der Systemfunktionalität der Zeichen arbeitenden Formen von Protest wie dem „Culture Jamming“6 oder dem „Adbusting“7. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Selbstdarstellung der Deutschen Lufthansa AG und dem gleichzeitigen Versuch den politischen Konflikt nicht ausschließlich auf der Ebene der Zeichen und der Ästhetik auszutragen, forderte den Einsatz eines Verfahrens, welches die Lufthansa AG unter Rechtfertigungsdruck stellen sollte: In Reisebüros, an Lufthansa-Schaltern sowie vor Flughäfen wurden Flyer im Corporate Design der Lufthansa ausgelegt, die eine neue und besonders günstige Art zu fliegen bewarben:
See the world through different eyes! Travel in exotic style with Lufthansa’s Deportation Class service. Don’t miss out – act now to take advantage of our specially priced low fares from North America or Europe to destinations all over the world. (Kampagne „Deportation.Class“ k.A.)
Als Kontakt-Hotline wurde die Nummer des Lufthansa-Kundenservices angegeben. Tatsächlich kontaktierten Kunden diese Hotline, um sich über das neue Angebot der Lufthansa AG zu informieren, das den Kunden einen ganz besonderen Service versprach:
After your special cargo area check-in, border police officers will help you through a separate gate into the high security deportee sector.(…) After being booked in Lufthansa’s Deportation Class, you will be driven in a specially protected vehicle from your home to the airport, completely free of charge.
(ebd.)
Der gleichen Taktik bedienten sich die Aktivisten, als sie in Flyern, dem Design der offiziellen Werbefaltblättern der Lufthansa angepasst, zum 1. Mai 2000 das „Lufthansa-Special“, die „Deportation Class“ ankündigten. Interessenten wurden zur Buchung vergünstigter Tickets eingeladen. In der Broschüre wurde erläutert, dass ein Preisnachlass von 30 Prozent gewährt werde, weil in demselben Flugzeug „ein abgetrennter Bereich für die Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern reserviert“ sei.
Für die Lufthansa AG hatte dieses Vorgehen ein strategisches Dilemma zur Folge. In einer eigens einberufenen Pressekonferenz wurde das Angebot dementiert: „Im Rahmen von Pressenachfragen, und um sich gegen den „absurden Vorwurf“ zu wehren, vom Abschiebegeschäft zu profitieren, gestand Lufthansa dann auch ungewollt die Dimension ihrer Abschiebebeteiligung ein“ (Wübben 15. Juni 2000).
Im Gegensatz zu dem von der autonomen a.f.r.i.ka gruppe beschriebenen Vorgehen der Kommunikationsguerilla, der Erfindung falscher Tatsachen zur Schaffung wahrer Ereignisse8, wurde hier nicht auf die Diskreditierung von Medien als Instanzen der Realitätssimulation gezielt, sondern vielmehr darauf,
Kommunikationsbarrieren zu überwinden und dann Menschen mit einem Klartext oder Handeln zu konfrontieren, dem sie sich ansonsten von vornherein entziehen würden. (autonome a.f.r.i.k.a gruppe 1997a:63)
Hierzu bedienten sich die antirassistischen Aktivisten der Taktik der „Camouflage“9. Das Corporate Design der Lufthansa wurde instrumentalisiert, um auf dissidente Inhalte hinzuweisen. Nur so, durch ein subversives Außerkraftsetzen von Selektionskriterien für mediale Information, wurde es möglich, auch zufriedene Kunden der Lufthansa auf die Abschiebungen durch das Unternehmen aufmerksam zu machen.
Was die Initiatoren der Kampagne „Deportation.Class“ von den ursprünglichen „Guerilleros“ unterscheidet, ist ihre Ambition, in die Öffentlichkeit zu treten und Gegenöffentlichkeit unabhängig von der medialen Information auch durch physische Präsenz zu konstituieren. Denn nur so wird die Möglichkeit einer reziproken Kommunikation gewährleistet. Eine möglichst reziproke Kommunikationssituation wiederum ist das einzige Mittel, welches es vermag, der Gefahr einer Interpretationsvariabilität entgegenzuwirken (vgl. Kleiner 2005:326). Die Aktivisten der Kampagne agierten nicht im Verborgenen, sondern übertrugen klassische Guerilla-Strategien, wie lokale und punktuelle Angriffe auf das herrschende System, auf den subversiven Umgang mit Kommunikationsstrukturen (vgl. Kleiner 2005:325) sowie auf den Umgang mit Rezipienten. Dabei war neben unmittelbaren gesellschaftlichen Veränderungen immer auch die Möglichkeit eines Diskurses zur medialen Konstruktion von Wirklichkeit beabsichtigt. So ist semiotischer Widerstand, „der nicht nur die dominanten Bedeutungen zurückweist, sondern oppositionelle konstruiert“ (Fiske 2000:23), Grundlage für das Gelingen von subversiver linker Politik und von Kommunikationsguerilla
Die vorangegangenen Beispiele zur Konstitution von Gegenöffentlichkeit im Rahmen der Kampagne „Deportation.Class“ stützten sich auf alternative Medien. Auch wenn diese ihre gegen kontrollierende Funktion erfüllten, so blieb der Protest auf eine kleine Öffentlichkeit beschränkt. Um dem entgegenzuwirken und um den Druck auf den Lufthansa-Vorstand nochmals zu erhöhen, bedurfte es der Form der Kampagnenöffentlichkeit. Diese jedoch konnte nur über die Verlagerung des Protestes aus dem öffentlichen Raum heraus in das Geschäftsfeld der Deutschen Lufthansa AG erzielt werden: Die Jahreshauptversammlung der Lufthansa am 20. Juni 2001 bot den Aktivisten nicht nur eine ideale, weil von der Lufthansa selbst initiierte, Plattform zur Darstellung der eigenen Position, da die Anwesenheit der Entscheidungsträger der Deutschen Lufthansa gewährleistet war, sondern sie sicherte zugleich die Ausstrahlung der Proteste in den Massenmedien10. Dieses höchst elaborierte Verhalten erschöpfte sich jedoch nicht allein darin, diese unternehmenseigene Plattform für das Verteilen von Informationsmaterial an die Aktionäre und die Besucher der Jahreshauptversammlung und für offene Proteste, in Form von Transparenten und störenden Zwischenrufen, zu nutzen. Die Aktivisten des Netzwerks „Kein Mensch ist illegal“ stiegen auch als Kleinaktionäre in das Unternehmen ein. Als solche machten sie von ihrem Recht Gebrauch, vor den versammelten Anteilhabern Reden zu halten. Dabei bedienten sie sich nicht nur der Strategie des „Unsichtbaren Theaters“, sondern auch der „Überidentifizierung“11. Man erhoffte sich, auch die Aktionäre der Deutschen Lufthansa AG mobilisieren zu können, indem man -scheinbar aus den eigenen Reihen- auf den Image-Verlust der Lufthansa durch die Beteiligung an Abschiebungen von Asylbewerbern verweist. Den Aktivisten gelang es so, dass der Lufthansa-Chef Jürgen Weber am Ende der Aktionärsversammlung bekannt gab, dass der Vorstand auf höchster Ebene mit dem Innen- und dem Verkehrsministerium über eine Entbindung von der Transportpflicht für die im Amtsdeutsch sogenannten „Schüblinge“ verhandeln werde. Im Folgenden ergab sich daraus jedoch keine konkrete Kursänderung (vgl. Becker 15. Juni 2001).
Die Kampagne bediente sich zum einen des hegemonialen Diskurses eines jeden Börsenunternehmens, der darauf baut, dass das Image einer der entschiedensten Faktoren für die Bildung von Kapital ist und zum anderen der dem Unternehmen eigenen Kommunikationsstruktur und konnte so die Entscheidungsträger zum Einlenken bewegen. Entscheidend für den Erfolg der Kampagne „Deportation.Class – gegen das Geschäft mit Abschiebungen“ war vorwiegend die Ausrichtung der Kampagne auf den Kapitalfluss des Unternehmens. So hatten Proteste auf der Jahreshauptversammlung des Unternehmens im vorherigen Jahr einen Einsturz des Aktienkurses der Deutsche Lufthansa AG Aktien bewirkt. Hierbei ist zu bedenken, dass Interventionen in ein international integriertes Unternehmenssystem nicht mehr allein über punktuelle Sitzblockaden oder militante Boykottaktionen erreicht werden können, sondern sich an die globalen Strategien eines transnationalen Unternehmens anpassen müssen. Denn die funktionalen Machtbereiche eines Wirtschaftsunternehmens sind in der heutigen Zeit weniger ortbar und weniger fassbar den je:
In der Art und Weise, wie Macht repräsentiert wird, unterscheidet sich der Spätkapitalismus wesentlich von anderen politischen und ökonomischen Formationen. An die Stelle eines einstmals soliden Sediments der Macht treten nomadisierende Formen, ein elektronischer Datenfluss, die computerisierte Verwaltung des Wissens und der Information, in der die institutionellen Zentren des Kommandos und der Kontrolle kaum mehr auszumachen sind.
(Critical Art Esemble 1997:37)
Nur das Wissen um den fluiden Charakter der institutionellen Macht kann politischen Aktivismus als strategisch gleichberechtigte Instanz auftreten lassen. Hat die Konkurrenz im internationalen Oligopol die Loslösung der Unternehmen von ihren traditionellen Territorien zur Folge, so muss politischer Aktivismus sich dessen zumindest bewusst sein, um adäquat vorgehen zu können.
4. Die „Online-Demonstration“
Parallel zu den Protesten auf der Jahreshauptversammlung der Lufthansa 2001 initiierten die Aktivisten eine „Online-Demonstration“, die den Zugriff auf die Webpräsenz des Unternehmens während der Aktionärshauptversammlung von 10 bis 12 Uhr beeinträchtigen sollte. Damit reagierten sie auf den Umbau der Deutschen Lufthansa AG zu einem „E-Viation-Konzern“:
Die Lufthansa bereitet die Umstellung ihrer Verkaufs- und Vertriebsstrategie auf das Internet vor. Aber die Manager sollten sich nicht dem Gedanken hingeben, diese Verlagerung der Geschäfte ins Virtuelle könnte bedeuten, dass nun keine Demonstrationen mehr den reibungslosen Ablauf stören, wie dies in Reisebüros und vor Flugschaltern der Fall ist. Dies wäre nur durch einen Rückzug aus dem Abschiebegeschäft zu erreichen. (Kampagne „Deportation.Class“ 2001)
Um Interessierten die Teilnahme an dem Online-Protest zu ermöglichen, stellten die Organisatoren eine „Online Protest Software“ auf ihrer Internetseite zum Download zur Verfügung. Mithilfe dieser Software konnten die Demonstranten automatisiert Fluganfragen an die Datenbanken der Buchungsserver stellen. So gelang es einigen teilnehmenden Demonstranten die Webpräsenz der Deutschen Lufthansa AG bis zu 25.000 Mal innerhalb des festgelegten Zeitfensters von zwei Stunden aufzurufen. Trotz dessen die Techniker der Lufthansa mit einer massiven Erweiterung der Kapazitäten der Webserver reagierten, waren diese bereits kurz nach zehn Uhr für etwa zehn Minuten nicht erreichbar und auch in der darauffolgenden Zeit kam es immer wieder zu Beeinträchtigungen durch die etwa 13.000 Protestierenden12. Daraufhin strengte die Deutsche Lufthansa AG einen Prozess wegen Nötigung an. Am 28.12.2004 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main nach über drei Jahren Ermittlungsarbeit Anklage gegen den Domaininhaber der beiden Internet-Domains „www.libertad.de“ und „www.sooderso.de“, da dieser „durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat – Nötigung gemäß §240 StGB – aufgefordert“ habe. Der Angeklagte wurde am 01.07.2008 zur Zahlung einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Das Gericht urteilte:
Der Angeklagte hat sich danach gemäß § 111 StGB, des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten, strafbar gemacht. Der Angeklagte hat öffentlich – im Internet – zu einer strafbaren Handlung, nämlich zu einer Nötigung gemäß § 240 StGB aufgerufen. (Amtsgericht Frankfurt/Main 22. Juli 2005)
Die Amtsrichterin Wild unterstrich in der Urteilsbegründung, dass sich der Angeklagte nicht auf Artikel 8 des Grundgesetzes berufen könne, da Art. 8 GG „nicht den Begriff der Demonstration, sondern den der Versammlung“ verwende. Bei der gewählten Protestform des Angeklagten handele es sich jedoch nicht um eine solche Versammlung, unter der üblicherweise das Zusammenkommen mehrerer Menschen zu gemeinsamer Zweckverfolgung genauer gesagt zu gemeinsamen Handeln verstanden“ werde. Sähe man von dem Merkmal der „Erfordernis körperlicher Anwesenheit in einem Kollektiv“ aufgrund der „neuen technischen Möglichkeiten, die bei Erlass des Grundgesetzes noch nicht bestanden und vorhersehbar waren“ ab, so sei dennoch zu beachten, dass „es keinen gemeinsamen Zweck der Teilnehmer der Aktion, sondern nur eine Personenmehrheit, wobei jeder für sich den gleichen Zweck verfolgt“ gab. „Es besteht ein Nebeneinander, kein Miteinander der Aktionsteilnehmer“ – anders als das beispielsweise in Chatrooms der Fall sei. Demzufolge hätte auch die Anmeldung der „Online-Demonstration“ durch die Initiatoren beim Ordnungsamt Köln nicht akzeptiert werden können.
Der Verurteilte legte Berufung beim ersten Strafsenat des OLG Frankfurt am Main ein und wurde von dem Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Das Oberlandesgericht geht in seinem Urteil weniger auf die Frage ein, ob diese Form der „Online-Demonstration“ unter der im Artikel 8 des Grundgesetzes garantierten Versammlungsfreiheit (und der in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Meinungsfreiheit) verhandelt werden könne, sondern kommt zu dem Schluss, „dass der Mausklick gerade nicht gegen den Körper der User oder Angehörige der Lufthansa gerichtet gewesen sei, sondern sich lediglich auf den Bereich des Internets beschränkt habe“ und somit nicht den Tatbestand eines Einsatzes von Gewalt erfülle. Ebenfalls könne man dem Beschuldigten nicht den Tatbestand einer Drohung mit einem empfindlichen Übel anlasten.
Auch wenn im Rahmen dieses Präzedenzfalles noch nicht die Frage der Rechtmäßigkeit von „Online-Demonstrationen“ nach Artikel 5 und 8 des Grundgesetzes geklärt worden ist, so zeigt sich doch die dringende Notwendigkeit einer entsprechenden Rechtsprechung in Deutschland.
Fazit
Die Tragweite dieser ersten großen „Online-Demonstration“ in Deutschland lässt sich nur schwerlich ermitteln. Das Medienecho war groß, auch Dank der beiden Gerichtsverhandlungen. Breite Bevölkerungsschichten konnten über die Kampagne informiert werden. Die direkten finanziellen Auswirkungen der Demonstration auf die Deutsche Lufthansa AG lassen sich laut Gerichtsurteil auf 5.496,39 € (Kosten für Lufthansa-Personal) und 42.370,80 € Fremdkosten13 dotieren. Die Frage danach, wie vielen Interessierten und buchungswilligen Kunden der Zugriff auf die Webpräsenz des Unternehmens versperrt worden ist, konnte nicht abschließend geklärt werden, so auch nicht die Frage nach den tatsächlichen Einnahmeeinbußen der Lufthansa durch nicht getätigte Buchungen.
Eine unmittelbare wirtschaftliche Schädigung des Unternehmens war jedoch auch nicht vorrangiges Ziel der Veranstalter. Vielmehr erhoffte man sich, die Image-Schädigung der Deutschen Lufthansa AG, als eine Garantie für starke Buchungsrückgänge über größere Zeiträume hinweg, voranzutreiben und damit den Handlungsdruck zu erhöhen. Denn verheerender als ein Blitzerfolg ist im heutigen Wirtschaftszusammenspiel eine lang anhaltende schädigende Wirkung, die das Unternehmen dauerhaft unter Druck setzt und einen Handlungsplan auf lange Sicht erfordert. Diese Absicht wiederum erklärt die Vorgehensweise der Aktivisten: Statt eines gezielten und technisch ausgereiften Hacks hat man den Weg einer Blockade der Site durch die Intervention Vieler gewählt. Demonstriert werden sollte dadurch vor allem, dass der Protest gegen die Deutsche Lufthansa AG nicht nur von wenigen linksradikalen Antirassisten ausgeht, sondern, dass durch die Kampagne bereits eine dissidente Massenwirkung erzielt werden konnte14. Spätestens an diesem Punkt jedoch stellt sich die Frage danach, was sich die Aktivisten mit der Fixierung auf die Deutsche Lufthansa AG erhofften, ausrichten zu können, vor allem in Anbetracht dessen, dass das Unternehmen im deutschen Abschiebewesen als scheinbar auswechselbare und ausschließlich ausführende Instanz auftritt, woraus sich eine erhebliche Schwierigkeit in der Beurteilung der Wirkungskraft der gesamten Kampagne „Deportation.Class – gegen das Geschäft mit Abschiebungen“ ergibt. Zwar wollten die Initiatoren die zuständigen Politiker zu einer Überarbeitung der deutschen Asylgesetze bewegen, im Wissen um ihre begrenzten Möglichkeiten der Einflussnahme konzentrierten sie sich jedoch zunächst auf das schwächste Glied der Abschiebekette. Das geschah in der Hoffnung, dass dessen Ausscheiden aus der Abschiebepraxis die Machthaber zum Einlenken zwingt. Aufbauend auf diese Annahme blieb eine Artikulation genauer Forderungen an die Politik aus.
So kann zwar der Erfolg der Kampagne vordergründig und fernab von aktuellen medientheoretischen Diskursen zur Reichweite von Taktiken wie der Kommunikationsguerilla (vgl. Marchart 1998:55-77) daran gemessen werden, wie weit sie eine Image-Schädigung der Lufthansa AG und wie stark sie eine Aufklärung und vor allem eine Mobilisierung der Öffentlichkeit erwirken konnte. Doch unmittelbare politische Folgen in der Form, dass das geltende Asylrecht in Deutschland überarbeitet wurde, lassen sich anhand der Kampagne nicht manifestieren. Es konnten vielmehr nur Teilziele erreicht werden. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Vorgehensweise der Aktivisten, die sich ebenso wie die Kommunikationsguerilleros zwischen rein semiotischem Widerstand, reiner Ideologiekritik und durch und durch pragmatischer linker Realpolitik positionieren15, jedoch ein Problem in sich birgt: Diese zumeist sehr partikularistischen Interventionen können überhaupt nur unter der Bedingung einer weitgehenden Homogenisierung der Bevölkerung fußen: „Doch in einer wenig homogenisierten Situation [wie sie in Deutschland in Bezug auf die Frage des Ayslrechts zweifelsohne vorliegt] sind pointillistische Aktionen nicht hegemonierelevant“ (Marchart 1998:70). Und so mag es zwar möglich sein, Anlass für öffentliche Diskurse zu bieten, Unternehmen wirtschaftlich zeitweise zuzusetzen und „Momente einer Delegitimierung der herrschenden Ordnung zu bewirken“ (autonome a.f.r.i.k.a gruppe 1997a:196), doch ohne Zustimmung der breiten Bevölkerung werden diese Aktionen immer nur eine soziale statt einer politischen Funktion erfüllen können, solange sie nicht breitflächiger und programmatischer Vorgehen.
Literaturverzeichnis
Amtsgericht Frankfurt/Main. 22. Juli 2005. „Online-Demo“ Urteil vom 01.07.2005. <http://www.libertad.de/service/downloads/pdf/Online-Demo-Urteil.pdf> (26.08.2008).
autonome a.f.r.k.a gruppe/ Blissett, Luther/ Brünzels, Sonja. 1997a. Handbuch der Kommunikationsguerilla. Jetzt helfe ich mir selbst. Hamburg: Verlag Libertäre Assoziation.
autonome a.f.r.k.a gruppe. 1997b. „Bewegungsle(e/h)re? Anmerkungen zur Entwicklungen alternativer und linker Gegenöffentlichkeit.“ In: nettime (Hrsg.). 1997. Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte. Berlin: Edition ID-Archiv, S. 177-185.
Becker, Jochen. 15. Juni 2001. „Das Ziel ist der Server“. Jochen Becker im Gespräch mit den Initiatoren der Kampagne „Deportation Class – gegen das Geschäft mit Abschiebungen“.
<http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2001/06/15/a0192> (25.08.200).
Critical Art Ensemble. „Elektronischer Ziviler Ungehorsam.“ In: nettime (Hrsg.). 1997. Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte. Berlin: Edition ID-Archiv, S. 37-47.
Enzensberger, Hans Magnus. 1970. „Baukasten zu einer Theorie der Medien.“ In: Glotz, Peter (Hrsg.). 1997. Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreihiet. München: R. Fischer, S. 97-132.
Fiske, John. 2000. „Popularkultur verstehen.“ In: Ders.: Lesearten des Populären. Wien: S. 14-25. Zitiert nach: Kleiner, Marcus. S. „Semiotischer Widerstand. Zur Gesellschafts- und Medienkritik der Kommunikationsguerilla.“ In: Hallenberger Gerd, Nieland Jörg-Uwe (Hrsg.). 2005. Neue Kritik der Medienkritik. Werkanalyse, Nutzerservice, Sales Promotion und Kulturkritik? Köln: Halem S: 314-366.
Jacke, Christoph. 2004: Medien(sub)kultur. Geschichte-Diskurse-Entwürfe. Bielefeld: transcript Verlag.
Kampagne „Deportation.Class“. 2001. „Online-Demonstration against DeportationBusiness.“ <http://www.geocities.com/demo4alles/dt/index.html > (24.06.2008).
Kampagne „Deportation.Class“. k.A. „See the world through different eyes! Travel in exotic style with Lufthansa’s Deportation Class service.“ <http://www.noborder.org/archive/www.deportation-class.com/index.html
> (26.07.2008).
Kein Mensch ist illegal. „Über uns. Kein Mensch ist illegal.“ <http://www.kmii-koeln.de/index.php?special=%C3%9Cber+uns> (28.08.2008).
Lasn, Kalle. 2005. Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung. Freiburg im Preisgau: Orange Press.
Libertad!. „Wer oder Was ist Libertad!?“ <http://www.libertad.de/siteinfo/weristli bertad.shtml> (25.08.2008).
Machart, Oliver. 1998: Die Verkabelung von Mitteleuropa. Medienguerilla-Netzkritik-Technopolitik. Wien: edition selene.
Plake, Klaus/ Jansen, Daniel/ Schumacher, Birgit. 2001. Öffentlichkeit und Gegegenöffentlichkeit im Internet. Politische Potenziale der Medienentwicklung. Wiebaden: Westdeutscher Verlag.
Shields, Rob (Ed.). 1996. Cultures of Internet.Virtual Spaces, Real Histories, Living Bodies. London: Sage Publications Ltd.
Welt Online. 3. April 2007. „14000 Abschiebungen aus Deutschland.“ <http://www.welt.de/welt_print/article790744/14_000_Abschiebungen_aus_Deutschland.html> (04.09.2008).
Wübben, Peter. 15.Juni 2000. „„Deportation Class“ sorgt für Tumulte.“ <http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,80926,00.html> (28.08.2008).