River

Es lässt sich nicht bestreiten, dass bestimmte Bindungen ein tieferes und über die Zeiten relativ stabileres Zugehörigkeitsgefühl hervorrufen als andere. Sprache ist sicher eine derartige Kategorie, die für viele Menschen eine Verwurzelung über die Muttersprache mit einer bestimmten Region erzeugt und Identität vermittelt.

Die Frage ist nun, wie derartige Zugehörigkeiten in Identitäts- und Ethnizitätskonzepte eingeordnet werden.

Dazu soll zunächst ein Ansatz von Clifford Geertz besprochen werden, der sich mit der Frage primordialer Bindungen schon in den 1960er Jahren beschäftigte und der später vielfach aufgegriffen worden ist. In dem Aufsatz The Integrative Revolution: Primordial Sentiments and Civil Politics in the New States (1963) geht Clifford Geertz der Frage nach, welche Rolle primordiale Bindungen bei staatlichen Transformationsprozessen in postkolonialer Zeit spielen. Anders als gängige Lehrmeinungen der Zeit, betrachtet Geertz dort primordiale Gefühle und Bindungen nicht als Ausdruck von Rückständigkeit, die es auf einem Weg der Moderne zu überwinden galt, sondern wies im Gegenteil darauf hin, dass Primordialität und nicht als rational betrachtete Mobilisierungsstrategien ein wesentlicher Teil des Modernisierungsprozesses selbst werden können.

Familie, Abstammung, Religion, Sprache, lokale Nähe oder Tradition sind nach Geertz ursprüngliche und weitgehend verinnerlichte, emotionale Bindungen, die über ein Gefühl von Loyalität den Gruppenzusammenhalt sichern. Primordiale Bindungen werden zwar als natürliche Gegebenheiten empfunden, ergeben sich nach Geertz aber aus der sozialen und kulturellen Eingebundenheit des Menschen. Ursprüngliche Bindungen werden mit der Geburt in einen bestimmten sozialen und kulturellen Kontext veranlagt und sind als solche beständiger als in einer späteren Lebensphase erworbene Bindungen. Primordialen Bindungen üben nach Geertz aber vor allem eine große Macht auf das Individuum aus, das sich dieser nur schwer entziehen kann. Derartige Bindungen können unter Umständen einen zwangsläufigen Charakter annehmen:

By a primordial attachment is meant one that stems from the ‚givens‘—or more precisely, as culture is inevitably involved in such matters, the assumed ‚givens‘—of social existence: immediate contiguity and kin connection mainly, but beyond them the givenness that stems from being born into a particular religious community, speaking a particular language, or even dialect of a language, and following particular social practices. These congruities of blood, speech, custom, and so on, are seen to have an ineffable, and at times overpowering, coercivness in and of themselves
The interpretations of cultures. Selected Essays. New York: Basic Books. [unv. Neuausgabe, Orig. 1973].

Location: St. Ana del Yacuma / River: Yacuma / People & Nation: Movima /
Language: Movima / Spanish [Latinamerica]

Primordiale Gefühle schaffen so bleibende Dispositionen, die unter bestimmten Umständen bestimmte Handlungen begünstigen. Weniger die Strukturen, als vielmehr die individuellen sozialen Akteure stehen im Zentrum seiner Analyse. Es sind also die Handlungen, die erst eine politische Praxis schaffen, die dann durch die primordiale Veranlagung der Akteure eine emotionale, irrationale Dimension enthalten. Diese, als ursprünglich angenommenen Bindungen können je nach Gesellschaft und Person und Kontext ganz unterschiedliche Formen ausprägen und fallen auch hinsichtlich ihrer Bedeutung von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Person zu Person sehr unterschiedlich aus. Sie wirken unterschwellig jedoch bei jedem Menschen und schaffen auf Gruppen übertragen so einen als natürlich empfundenen Zusammenhalt, eine nicht hinterfragbare Loyalität und Verpflichtung der Gruppe gegenüber. Wahrgenommen werden primordiale Bindungen als "Natur", oder, wie Geertz sich ausdrückt, als ein Gefühl des Spirituellen, wodurch sie sich einer sozialen Kontrolle entziehen, während die für diese jedoch zugleich maßgeblich unterschwellig wirken:

„But for virtually every person, in every society, at almost all times, some attachments seem to flow more from a sense of natural—some would say spiritual—affinity than from social interaction“.
The interpretations of cultures. Selected Essays. New York: Basic Books. [unv. Neuausgabe, Orig. 1973].

Explizit werden folgende Kategorien als primordiale Bindungen aufgeführt: Blutsver- wandtschaft (engl. assumed blood ties), "Rasse" -> Herkunft, Sprache, Region, Religion und Tradition. Diese weisen in besonderem Maße die Tendenz auf, innerhalb bestimmter Kontexte politisiert zu werden, damit sind sie auch das Einfallstor für zahlreiche Arten von Missbrauch. Dies funktioniert dann besonders gut, weil sich diese Kategorien der Identität zunächst jeder rationalen, damit auch ökonomisch und sozial herleitbaren Differenzierung entziehen. Werden sie im politischen Kontext betont, ohne auf ihren wenig aussagekräftigen, durch den Zufall der Geburt bestimmten, Charakter hinzuweisen, sind sie gefährlich.

Evo Morales: Seine Rede im Tiefland

Evo Morales, geboren am 26. Oktober 1959 in Isallavi, Bolivien, ist eine der ikonischsten Figuren Lateinamerikas, die an der Schwelle des 21. Jahrhunderts auf der politischen Bühne erschien.

Er steht auch für die Revitalisierung indigener Kulturen im beginnenden 21. Jahrhundert.

Seine Rede hält er hier im Tiefland. Das bolivianische Tiefland war kein einfacher Ort für Morales und seine Partei die MAS. Bolivien ist ein Mikrokosmos, der zeigt, wohin nationale, demokratische, "sozialistische Revolutionen" führen, noch dazu, wenn sie gepaart sind mit allerlei kultureller Zuschreibung und einer Portion Identitätspolitik. Eine reformistische Politik, die im Prinzip sozialdemokratisch funktioniert, sich nicht zwischen Reform und Revolution entscheiden kann und so letztlich einen Zickzack Kurs mit marginalen Verbesserungen erzeugt. Eine Politik, welche das Land in zwei Lager gespalten hat, und sogar zwischen die indigenen Teile einen Keil trieb. Alles in guter Absicht.

"Bolivien im Umbruch. Evo hält seine Versprechen." Die Regierung präsentiert Plakate mit erhobenen Fäusten. Die "Verstaatlichung" der Öl- und Gasvorkommen – das war in der Tat nur die Aushandlung neuer Verträge mit den Neo Kolonialisten, aber kämpferisch in Szene gesetzt. Das hat dem Staat zusätzliche Einnahmen gebracht. Dieses Geld floss auch in soziale Programme zur Bekämpfung von Armut. Alle Bolivianer über 60 Jahren erhalten nun eine monatliche "Rente der Würde" von 200 Bolivianos (ca. 20 Euro). Das Familienbeihilfeprogramm "Juancito Pinto" erleichtert bedürftigen Familien die Schulbildung ihrer Kinder zu finanzieren. Der gesetzliche Mindestlohn wurde auf monatlich 575 Bolivianos (55 Euro) angehoben, was jedoch wenig mehr als ein Almosen ist. Auch dieser ist abhängig von den Interessen der ausländischen Investoren. Zum Unwillen der Großgrundbesitzer wurden bereits 5 Millionen Hektar brachliegendes Ackerland an arme Bauern verteilt - laut Regierungsangaben. Eine neu gegründete Entwicklungsbank vergibt Kredite an Kleinunternehmer und Kleinstunternehmerinnen. Wir sehen also die für Entwicklungsländer typische Mischung aus ausländischen Großinvestoren und inländischen subsidiärem Kleinst"kapital". Damit werden die Karten nicht wirklich neu gemischt, aber auf der Tonspur kann man schon einiges erzählen. Wären da nicht die handwerklichen Probleme, die aus einem nationalen und reformistischen Kurs kommen.

Bolivien war und ist stark zentralisiert. Präsident Morales hatte ein Projekt zur Autonomie initiiert, das hauptsächlich auf die Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerung abzielte.

Im Rahmen der Diskussion über das Autonomiegesetz kam es zu einem schweren Konflikt mit dem Bund der indigenen Völker des bolivianischen Ostens CIDOB. Die CIDOB kritisierte, dass der MAS sein Wahlversprechen einer verstärkten politischen Teilhabe der indigenen Völker des bolivianischen Tieflandes nicht wahr gemacht habe und dass die Autonomie nur eine vom Staat kontrollierte Scheinautonomie sei. Nach wiederholt fehlgeschlagenen Verhandlungsversuchen mit der Regierung führte die CIDOB einen einmonatigen Protestmarsch in Richtung La Paz durch. Der Protestmarsch wurde in der Endphase abgebrochen, da die Regierung finanzielle Unterstützung für Entwicklungsprojekte in den jeweiligen Regionen zusagte. Die eigentlichen Forderungen nach mehr Autonomie wurden jedoch nicht berücksichtigt.

Am 6. Juli 2006 sollte über dieses Vorhaben in einem Referendum abgestimmt werden. Als sich jedoch vor allem im Tiefland, auch in der Provinz Beni, separatistische Bestrebungen regten, änderte der Präsident kurz vor dem Referendum seine Meinung und rief seine Anhänger dazu auf, gegen diese Reform zu stimmen.

Auf nationaler Ebene, besonders im Altiplano, lehnte die Bevölkerung eine Ausweitung der Autonomierechte für Provinzen ab. Im Tiefland aber stimmten Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija dafür und forderten die sofortige Umsetzung der Autonomiegesetze. Der Präsident widersetzte sich diesem Wunsch – obwohl er selbst ein Gesetz unterzeichnet hatte, welches besagte: "Provinzen mit einfacher Mehrheit für die Reform sollen direkt nach Verabschiedung einer neuen Verfassung von den Autonomieregelungen profitieren." Damit war ein Großkonflikt, der eigentlich in der Absicht erfolgte indigenen größere Rechte zu ermöglichen entstanden, der bis heute nicht gelöst ist und auf viele Ebenen kaskadiert.

Schon bei der Diskussion um die verfassunggebende Versammlung, mit der das Land auf Druck der indigenen Linken eine neue politische Grundlage schaffen wollte, stimmte Morales der Podemos-Partei des ehemaligen Präsidenten Jorge Quiroga zu, dass die Verfassung mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen und dann einem Volksentscheid unterzogen werden sollte. Damit sollte die politische Rechte eingebunden werden . Doch wie auch in der Frage der Autonomiegesetzgebung, war es ein Mix aus demokratischem Engagement und mangelnder politischer Erfahrung, die Morales dazu verleitete seine Kraft zu überschätzen. Denn mit 133 von 250 Parlamentssitzen machte er sich somit von der Zustimmung der Rechten abhängig. Diese waren jedoch an keiner Form von "Konsens" interessiert. Am Ende boykottierte die Opposition die verfassunggebende Versammlung. Eigentlich hätte die neue Grundlage des Staates nach einem Jahr vorliegen sollen, nun brauchte man allein schon acht Monate dazu, sich auf ein Verfahren zu einigen. Nach Ablauf eines Jahres musste das Mandat verlängert werden. Doch diesmal einigten sich die Regierungspartei MAS und die Podemos darauf, dass die Verfassung „mit einfacher Mehrheit“ verabschiedet werden kann. Das rief dann wiederum ultrarechte und Separatisten auf den Plan. Morales Rede unten spielt sich in diesem Kontext ab, weshalb die Betonung der Verfassung, der Demokratie und ihrer Organe doch etwas dramatisch ausfällt. St. Ana del Yacuma befindet sich im Departamento Beni.

In Sucre, wo die verfassungsgebende Versammlung stattfand, und in der Provinz Santa Cruz kam es aufgrund des Parlamentsbeschlusses zu heftigen Unruhen. Ultrarechte Bürgerkomitees ohne demokratische Legitimität störten die Arbeit der Delegierten. Die Versammlung musste am 23. November in eine Militärakademie flüchten. Bei gewalttätigen Protesten in den Straßen von Sucre kamen drei Demonstranten ums Leben. Am 9. Dezember 2007 wurde schließlich in der Bergarbeiterstadt Oruro die neue Verfassung von mehr als zwei Dritteln der anwesenden Delegierten, also von MAS und ihren Verbündeten, verabschiedet. Die Mehrheit versichert, dass alles rechtmäßig ablief. Aufgrund einer nicht eingehaltenen Frist zur Einberufung blieb die Opposition bei der Abstimmung fern. Dadurch erhielt eine Rechte mit einer autoritären Vergangenheit die Möglichkeit, sich als Demokraten und an der Autonomie interessierte zu präsentieren. Insgesamt ist erstaunlich, wie mit Morales, der immerhin einer sozialistischen Partei vorsitzt, erneut alle Faktoren, die Karl Marx im 18. Brumaire beschrieben erneut zu besichtigen sind, in einer identitären Fassung. Die bürgerliche Demokratie sie ist ein seltsames Geschöpf, weil sie an die Kapitalinteressen gebunden ist, von denen sie sich praktisch nicht emanzipieren kann. Auf nationaler Ebene allein ohnehin nicht. Am Ende kommt es dann meist, wie es kommen muss.

Die soziale Republik erschien als Phrase, als Prophezeiung an der Schwelle der Februarrevolution. In den Junitagen 1848 wurde sie im Blute des Pariser Proletariats erstickt, aber sie geht in den folgenden Akten des Dramas als Gespenst um. Die demokratische Republik kündigte sich an. Sie verpufft am 13. Juni 1849 mit ihren davongelaufenen Kleinbürgern, aber im Fliehen wirft sie doppelt renommierende Reklamen hinter sich. Die parlamentarische Republik mit der Bourgeoisie bemächtigt sich der ganzen Bühne, sie lebt sich aus in der vollen Breite ihrer Existenz, aber der 2. Dezember 1851 begräbt sie unter dem Angstgeschrei der koalisierten Royalisten: "Es lebe die Republik!"

(...)

Von den widersprechenden Forderungen dieser Situation gejagt, zugleich wie ein Taschenspieler in der Notwendigkeit, durch beständige Überraschung die Augen des Publikums auf sich als den Ersatzmann Napoleons gerichtet zu halten, also jeden Tag einen Staatsstreich en miniature zu verrichten, bringt Bonaparte die ganze bürgerliche Wirtschaft in Wirrwarr, tastet alles an, was der Revolution von 1848 unantastbar schien, macht die einen revolutionsgeduldig, die andern revolutionslustig und erzeugt die Anarchie selbst im Namen der Ordnung, während er zugleich der ganzen Staatsmaschine den Heiligenschein abstreift, sie profaniert, sie zugleich ekelhaft und lächerlich macht. Den Kultus des heiligen Rocks zu Trier wiederholt er zu Paris im Kultus des napoleonischen Kaisermantels. Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern des Louis Bonaparte fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen.

Ein Andennapoleon wurde indes noch nicht gesichtet. Zurück in die Kolonien. ;)

Das Tiefland ist reich an Weideflächen und besitzt eine vielschichtige Vegetation und Biosphäre. Es gehört schon zum Amazonasbecken ist aber weniger von Urwäldern als von einer tropischen Feuchtsavanne geprägt. Zahlreiche Flüsse durchziehen das Tiefland. Einer davon ist der Yacuma River, dem wir in unseren Shorts folgen. Der Yacuma ist ein Zufluss und mündet nach vielen Schleifen in den großen Mamore einen Nebenfluss des Amazonas

Regelmäßige große Überschwemmungen bestimmen den Jahreslauf. Im Tiefland finden sich zahlreiche Völker, einige sind hinsichtlich ihrer Sprache und Identität vom Aussterben bedroht, in der Region St. Ana ist besonders das Volk der Movima anzutreffen.

Die politische und ökonomische Macht liegt bis heute im Wesentlichen in den Händen von spanischstämmigen Viehzüchtern, die aus ihrer strukturell konservativen Haltung keinen Hehl machen. Diesen Strukturen begegnete die MAS in der Amtszeit Morales mit einigen Infrastrukturprojekten, welche das Leben im Tiefland verbesserten. Damit wurde er auch dort zu einem mehr oder weniger akzeptierten Präsidenten.

Kaum ein Land dieser Erde weist so unterschiedliche Zonen und sozio-ökonomische Verhältnisse auf, wie Bolivien, was sich heute laut Verfassung als ein Staat der vielen Völker versteht. Während das Hochland eine karge Hochebene ist, die Hauptstadt liegt auf über 4000 Metern, die bereits stark unter dem Klimawandel leidet, ist das Tiefland eine fruchtbare und ergiebige Zone. Die Andengletscher tauen, in La Paz der Hauptstadt ist extrem wenig Wasser vorhanden, seit der verschärften Gangart des Klimawandels ist es praktisch ausgetrocknet und der Nachschub von den Gletschern versiegt mehr und mehr. Dort spannen Menschen Plastikplanen auf, um aus dem Morgennebel Wasser zu kondensieren. Weiter hat Bolivien mit dem großen Salzsee eines der reichsten Lithiumvorkommen der Erde, was unter Morales verstaatlicht wurde, ebenso, wie die Zinnminen und andere Bergbauunternehmen.

Als Führer der Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo – MAS) und als Boliviens erster indigener Präsident (2006-2019) wurde Morales weltweit durch seine charakteristischen buntgestrickten Pullover bekannt, die nicht nur ein kulturelles Statement, sondern auch ein Symbol seiner Identität und politischen Philosophie darstellten.

Diese mehr oder weniger kleidsamen Pullover, oft in lebhaften Farben und mit andinen Mustern versehen, spiegeln seine tiefe Verwurzelung in der indigenen Kultur Boliviens wider und verstärkten die visuelle und kulturspezifische Botschaft seiner politischen Führung.

Evo Morales nutzte bewusst seine Kleidung als politische Ausdrucksform, um Solidarität mit den indigenen Gemeinschaften zu demonstrieren und sich von der westlich geprägten politischen Elite abzugrenzen. Ein Statement gegen dem Neoliberalismus und Neokolonialismus. Morales' Regierungszeit war eine Zeit des Wandels, in der er wichtige soziale Programme einführte, die Armut reduzierte und die Rechte der indigenen Völker stärkte. Seine Politik war stark geprägt von einem Ansatz der national zu Wertschöpfungsketten auszubauenden Rohstoffe, statt sie massenhaft und billig zu exportieren. Insbesondere in Bezug auf die Gas-, Lithium- und Ölindustrie.

Morales' Amtszeit war jedoch auch von Kontroversen gezeichnet, s.o.. Darunter Anschuldigungen der Korruption, Misswirtschaft und einem zunehmend autoritären Regierungssystem. Daneben kam Kritik von anderen Völkern auf, die innerhalb Boliviens eine Vorherrschaft der Aymara kritisierten und mehr Aufmerksamkeit für die Völker des Amazonasbeckens, des Tieflandes forderten.

Nach seinem umstrittenen Rücktritt im Jahr 2019 und der Flucht ins Ausland, kehrte Morales nach Bolivien zurück, nachdem seine Partei, die MAS, die Präsidentschaftswahlen 2020 gewonnen hatte.

Morales fordert eine Legalisierung des traditionellen Kokas, was ihm viel Unverständnis einbrachte. In letzter Zeit aber, auch nach Gutachten der UN und nach den Friedensbemühungen in Kolumbien, scheint die Legalisierung des Kokaanbaus, zumindest für traditionelle Zwecke, eine sinnvolle Maßnahme zu sein. Viele Staaten Lateinamerikas und Mittelamerikas, wie Mexiko, stehen an der Schwelle zum gescheiterten Staat, weil die Illegalität der Droge große Probleme verursacht. Die USA haben den "War on Drugs" aus guten Gründen aufgegeben. Es wird Zeit auf höchster UN Ebene über die Zukunft der Kokapflanze zu sprechen. Im Ergebnis sollte Südamerika von den offensichtlichen Problemen freigestellt werden, um eine reale Entwicklungschance zu haben. Da ist die Legalisierung des traditionellen Kokablattes ein wichtiger Schritt.

Es folgt eine verkürzte und freie Übersetzung der langen Rede, die den deutschsprachigen Leser:innen in erster Linie einen guten Eindruck der wichtigen Inhalte geben soll, welche der Präsident hier in seiner Rede vorstellt.

Sehr geehrter Bürgermeister der Stadt Santa Ana del Yacuma, verehrte Stadträte, geschätzte Interimsgouverneure des Departements Beni, geehrte Unter-Gouverneur dieser Region, verehrte Bürgermeister, Stadträte und alle Gäste dieser Veranstaltung, sowie Genosse Juan Quintal, Exekutivvertreter des Departements Beni für die Agentur, und alle anwesenden Persönlichkeiten, einschließlich der Polizeibehörden, des Kommandanten der Regionalpolizei und des Kommandanten der Streitkräfte, sowie ein ganz besonderer Gruss an alle schönen Frauen des Departements Beni und aller Institutionen dieser Gemeinde.

Ich danke Ihnen zunächst für die Einladung, zu Ehren des 302. Jahrestages der Gründung der Stadt teilzunehmen. Diese Jahrestage sind ein bedeutendes historisches Ereignis und symbolisieren die lange Tradition und Verbundenheit der Bewohner und der ansässigen Volksgruppen mit Bolivien.

Im Namen der nationalen Regierung des plurinationalen Staates übermittle ich Ihnen herzliche Glückwünsche zu diesem besonderen Anlass.

Wir befinden uns in einer Phase tiefgreifender sozialer, kultureller und struktureller Veränderungen, jedoch immer im Rahmen der Demokratie.

Als gewählte Vertreter und Behörden tragen Sie eine große Verantwortung für Ihre Gemeinde, Region und Abteilung.

Ich möchte betonen, dass die Demokratie gewinnt, wenn die gewählten Behörden eng an den Bedürfnissen und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger arbeiten.

Die Brücke über den Rapulo-Fluss, die Sie erwähnten, ist ein Beispiel für eine wichtige Infrastrukturmaßnahme, die die Lebensqualität der Einwohner von Santa Ana del Yacuma verbessern wird. Solche Projekte sind nur möglich durch die Zusammenarbeit zwischen den lokalen Behörden und der nationalen Regierung.

Ich möchte Ihnen allen für Ihren Einsatz und Ihr Engagement danken und betonen, dass wir alle Diener der bolivianischen Völker sind. Es ist unsere Pflicht, die Bedürfnisse und Anliegen unserer Bürgerinnen und Bürger zu vertreten und zu unterstützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre harte Arbeit zugunsten Ihrer Gemeinde.

Música en honor a los alemanes

Tubería reventada / Der Rohrbruch

In der sanft erwachenden Morgendämmerung von San Lorenzo einer malerischen kleinen Stadt im Tiefland Boliviens, begann der Tag wie jeder andere mit einem strahlend blauen Himmel und von irgendwo drang Blasmusik auf die Straße. Doch die Ruhe sollte nicht lange anhalten. Als die Sonne höher stieg, bemerkten die Bewohner der Calle Esperanza, einer kleinen, staubigen Straße am Rande der Stadt, ein seltsames Szenario: Wasser, das langsam aber sicher aus dem Boden sickerte und sich in kleinen Pfützen sammelte.

Es dauerte nicht lange, bis die Nachbarn, angeführt von Doña Mariela, die wegen ihres umsichtigen Wesens in der Gemeinschaft hoch angesehen war, den lokalen Versorgungsbetrieb informiert hatte. Die Situation war dringend, eine Mannschaft von Stadtarbeitern wurde entsandt, der Schaden musste behoben werden.

Die Männer kamen an, ihre Werkzeuge und Maschinen bereit, und mit der Erfahrung vieler Jahre auf dem Buckel. Die Nachbarschaft beobachtete gespannt, wie die Arbeiter das Problem mit geübtem Auge analysierten. Der Teamleiter, Señor Gustavo, ein Mann von unscheinbarem Wesen, aber immenser Autorität, dirigierte seine Truppe mit einer beeindruckenden Mischung aus Präzision und Einfühlungsvermögen.

Die Reparatur erwies sich als nicht ganz einfach, denn das Rohr lag tief und das Erdreich war dicht, nachdem sie die Leitung freigelegt hatten, schoß ihnen mit großem Druck das Wasser entgehen.

Ein Puzzle aus Erde, Steinen und Sand türmte sich neben ihnen auf. Die aufkommende feuchte Hitze machte die Bedingungen nicht einfacher, doch Solidarität und Zielstrebigkeit hielten das Team am Laufen. Arbeit wurde nicht als Last, sondern als gemeinsames Ziel betrachtet. Die Gemeinschaft von San Lorenzo zeigte sich solidarisch. Jemand brachte gekühltes Wasser, andere reichten frisches Obst oder boten schattige Plätze zur kurzen Erholung an. Singani durfte auch nicht fehlen. Dann kamen noch Leute die mit Eimern das Wasser aus der Ausschachtung hoben, damit die Arbeiter das geplatze Rohr flicken konnten.

Es dauerte Stunden in der tropischen Hitze, bis die beschädigte Stelle ersetzt und das Rohrsystem wieder zusammengesetzt war. Das letzte Anziehen der Verbindungsstücke, eine letzte Überprüfung durch Señor Gustavo dann begannen die Arbeiter alles wieder zuzuschütten. Trotz ihrer Erschöpfung spiegelten ihre Gesichter den Stolz über ihre Arbeit.

Als die Sonne am Horizont zu sinken begann und das reparierte Rohr wieder einwandfrei funktionierte, organisierten die Bewohner der Calle Esperanza spontan eine kleine Feier zu Ehren der hart arbeitenden Männer. Sie sammelten sich auf der Straße, teils aus Dankbarkeit, teils aber auch, um die Kraft der Gemeinschaft zu feiern. Mit Musik, traditionellen Speisen und herzlichen Worten der Anerkennung wurde jedem Arbeiter gedankt. Inmitten des Lachens, der Gespräche und der Musik verstärkte sich das Gefühl eines Zusammenhalts, das in San Lorenzo schon immer das Rückgrat der Gemeinde ausgemacht hatte. An jenem Tag verstanden alle, dass auch in den scheinbar unbedeutendsten Momenten des täglichen Lebens Heldentum und Menschlichkeit zu finden sind. Die Arbeiter waren mehr als nur Handwerker; sie waren Teil einer Familie, Teil einer Gemeinschaft, die zusammenkam, um jedes Hindernis zu überwinden.

Von der Revolution 1952 bis zum Beginn der katarischen Bewegung

Die Revolution von 1952, geleitet von der MNR, brachte einen Wandel mit sich. Víctor Paz Estenssoro wurde Präsident (1952-1956, 1960-1964, 1985-1989). Laut Xavier Albó (Albo 2008) blieb die Staatsstruktur bis 1985 im Wesentlichen unverändert bestehen. Es handelte sich um ein recht stabiles politisches System, welches die gesamte Bevölkerung einschloss. Ein zentralistisches Regierungsmodell. Staatliche Unternehmen wie die bolivianische Minengesellschaft Comibol und eine Ölgesellschaft namens YPFB (Yacimientos Petroleros Fiscales Bolivianos) wurden gegründet. Im Hinblick auf die indigene Bevölkerung gab es Fortschritte, wie das allgemeine Wahlrecht auch für Analphabeten, sowie den Ausbau des ländlichen Schulsystems aber unter Beibehaltung des traditionellen spanischsprachigen Unterrichts. Zudem wurden bäuerliche Gewerkschaften oder Interessensvereinigungen eingeführt und erweitert. Die Agrarreform führte zu einer Umstrukturierung des Landbesitzes auf dem Altiplano, während sie im Tiefland zu einer zweigeteilten Agrarstruktur führte - Großgrundbesitzer dominierten dort als landbesitzende Oligarchie, neben einigen bäuerlichen Migranten, den sogenannten "Colonizadores", die politische und ökonomische Landschaft.

Die MNR Regierung gewann mit der Reform die Unterstützung der Kleinbauern, wobei Bauernvereinigungen in einigen Regionen wichtige Verwaltungsaufgaben des Staates übernahmen und zu einer gewissen regionalen Autonomie führten. Einerseits stärkte die Reform die Rechte von Arbeitern und Kleinbauern, andererseits wurden traditionelle indigene Strukturen, sowie kulturelle Identitäten negiert, ignoriert und aktiv untergraben. Die Bezeichnung "Indios" wurde durch "Campesinos" ersetzt und kommunale Organisationen wandelten sich zu Landarbeitergewerkschaften.

Anfangs begrüßte die Mehrheit der Kleinbauern diese Befreiung von früherer Ausbeutung und Diskriminierung. Spätestens seit der Revolution von 1952 durch den MNR (Movimiento Nacional Revolucionario) sprach man nicht mehr von Indigenen, sondern von Bauern oder dem Bauernstand, was auch im allgemeinen Sprachgebrauch übernommen wurde, zumindest offiziell.

In den Jahren 1960-1964 folgte Hernán Siles Zuazo auf Paz Estenssoro als Präsident, dann kam es zum Militärputsch unter René Barrientos Ortuño. Von 1964 bis zu seinem Tod im Jahr 1969 war er Präsident. Trotz politischer Erfolge der MNR bewahrte der Staat nach 1952 alte koloniale Strukturen bei dem Versuch, die indigene Bevölkerung als 2Bauern" in den bolivianischen Staat einzubinden, wenn auch gerechter als zuvor. Allerdings schuf die MNR tatsächlich auf subtile Weise eine neue Form der Diskriminierung anstelle sie zu überwinden.

This structure was no longer built on the exclusion and direct exploitation on haciendas; rather, it depended on a deep and persistent inequality between rural and urban areas, particularly in terms of access to common goods and services. In a more ideological sense, the 1952 state deprived people of their originario identity, this being the necessary price for achieving full citizenship. To be sure, the ideal of the 1952 state was to build a society that was more inclusive, but also more homogenous, through the adoption of mestizo culture. Society was no longer to be indígena, but rather subject to a common culture ever closer to that of the dominant criollo/white society with its civilizing mentality

Die Schwierigkeiten wurden im Detail sichtbar im Rahmen der staatlichen Schulpolitik bis in die entlegensten ländlichen Gebiete, bei den bäuerlichen Gewerkschaften unter Führung der MNR, des Militärdienstes, welcher hauptsächlich junge Menschen aus ländlichen Regionen rekrutierte. Trotz Bemühungen der dominanten Criollo Gesellschaft, einen sozialen Ausgleich innerhalb der Bevölkerung zu schaffen, blieb die Marginalisierung der ländlichen und sozial benachteiligten Gemeinschaften bestehen. Der Begriff Criollo bezeichnet im Spanisch sprechenden Lateinamerika, die Nachfahren von spanischen Eltern, im Gegensatz zu Personen nichteuropäischer oder gemischter Abstammung. Damit werden bis heute landestypische "Charaktere" und kultureller Habitus letztlich auf europäischer Grundlage definiert, auch wenn natürlich die echten Kulturen Lateinamerikas nur indigen sein können. Die Menschen, welche nicht zu dieser "Cabalero Kultur" passten, fühlten sich weiterhin als Bürger:innen zweiter Klasse, was sich während der Zeit der Militärregierungen weiter verschärfte.

Es entstand in diesem Spannungsfeld ein zunehmendes Bewusstsein kultureller Identität. Es wurden Netzwerke aufgebaut, wie lokale Radiostationen, oft durch Institutionen, durch die katholische Kirche, welche zu einem neuen Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung beitrugen. Sendungen in indigener Sprache wurden übertragen (vor allem im Hochland, Aymara und Quechua). Auch Forschungsprojekte und Nichtregierungsorganisationen haben hier ihren Beitrag geleistet. Nicht zu vergessen ist jedoch, dass diese Bemühungen von verschiedenen Seiten her getragen wurden - sei es von früher Republik oder später MNR sowie teilweise von institutionellen Akteuren wie der katholischen Kirche. Aber immer noch im Sinne einer "Zivilisierung" und einer "zivilisatorischen Mentalität". Diese Ideologie wurde selbst von vermeintlich wohlwollender Seite nicht hinterfragt; Indigen sein galt als gleichbedeutend mit ungebildet und rückständig. Es müsse eine Entwicklung erfolgen, die nun eben besser funktioniere, wenn man sie mit den eigenen kulturellen Werkzeugen der Communitys betreibt.

Der "Katarismus" war der erste Ausdruck dieses neuen Bewusstseins. Dieser verband, so called, marxistische Analyse mit indigener Identität. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass die angeblich marxistische Analyse sehr stark von stalinistischen und kubanischen Ansichten geprägt war, also der Idee eines Sozialismus in einem Lande folgte. Daneben spielte die Außenpolitik der UdSSR eine Rolle. Insoweit würden wir von hier nicht sagen, dass es hier um marxistische Gruppen und Analysen ging, sondern, um Ansätze des national geprägten Sozialismus in einer eher reformistischen Fassung. Einer Fassung, die zu allem Übel auch noch vom Ansatz Castros und Guevaras geprägt war. Damit früh zum Spielball der strategischen Interessen der Moskauer Stalinisten wurde. Eher also nationaler "Sozialismus", der sich zu allem überfluss auch noch mit frühen links-identitären Aspekten zu einem nationalistischen Programm entwickelte, im Interesse der UdSSR.

Ende der 1960er Jahre begann diese Bewegung unter jungen Aymara-Studenten ohne persönliche Erfahrungen mit der Revolution von 1952. Sie entstand während und nach Banzer's Diktatur (1971-1978), wobei ältere historische Wurzeln wie der „Militär-Bauern-Pakt“ sowie die Revolution von 1952 und die Agrarreform von 1953 ihre Bedeutung verloren hatten; die Verwirklichung einer homogenen Gesellschaft wurde als gescheitert angesehen.

Die Klassenperspektive wurde zugunsten einer ethnisch geprägten Perspektive aufgegeben. Schon dies ist im Rahmen einer marxistischen Analyse natürlich nicht möglich, ohne den Marxismus, damit den historischen Materialismus, aufzugeben. Bei der MAS finden sich viel später einige dieser Versatzstücke und führen, ohne jeden Zweifel, auch zu den weiter oben geschilderten schwerwiegenden Fehlern der Morales Regierung in Sachen Autonomie und Verfassung.

Diese Politik ist das Ergebnis einer falschen Einschätzung von klassenbasierten Kräfteverhältnissen, die als ethnisch basierte Kräfteverhältnisse, mit den Aymara als stärkste Kraft, missverstanden wurden und werden. Das spiegelt nicht die Verhältnisse des realen Bolivien, sondern einer identitären Aymara Traumwelt.

Dekolonisation wird betrieben in einem identitären Mantel, der sich in der Tat aber kolonialer Methoden bedient und somit Institutionen der Kolonialisten und Europäer in einem anderen Gewande zur Aufführung bringt, ohne den Charakter dieser Institutionen grundlegend zu hinterfragen. Also ein Reflex. Ganz im Gegensatz zu Frantz Fanons berühmten "Die Verdammten dieser Erde" - "Also, meine Kampfgefährten, zahlen wir Europa nicht Tribut, indem wir Staaten, Institutionen und Gesellschaften gründen, die von ihm inspiriert sind." Es geht nicht um "fratzenhafte Nachahmung". Fanon schilderte schon 1961, dass sich in afrikanischen Staaten, die sich ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten, eine neue einheimische Bourgeoisie an die Spitze setzte. Diese Klasse kopiert einfach die Vorgehensweise der früheren Kolonialherren und nur allzuoft ist das Mittel der Wahl eine vermeintlich linke und identitäre Politik mit nationalistischen Beimengungen.

„In its place, it invoked a long memory that harked back to the (neo)colonial state and the need to destroy it“

Albó, Xavier
2008 The „long memory“ of ethnicity in Bolivia and some temporary oscillations. In: J. Crabtree und L. Whitehead (Hrsg.), Unresolved tensions. Bolivia past and present, Pitt Latin American series, S. 13–34. Pittsburgh, Pa: Univ. of Pittsburgh Press.

Yashar, Deborah J.
2005 Contesting citizenship in Latin America. The rise of indigenous movements and the postliberal challange, (Cambridge Studies in contentious politics). Cambridge: University Press.

St. Georg, der Drachentöter

Der heilige Georg, ein christlicher Märtyrer, dessen Verehrung in Europa im Mittelalter weit verbreitet war. Er ist vor allem bekannt für seinen legendären Kampf gegen einen Drachen. Wobei der Drache zu einem univesalistischem Symbol für alles Böse wurde, vor dem Hintergrund der Zeit, für alles "ungläubige". Geboren wird er meistens in Kappadokien, einer Region der modernen Türkei, und stirbt als Märtyrer im frühen 4. Jahrhundert n. Chr. unter der Herrschaft des römischen Kaisers Diokletian. Also eine byzantinische Figur.

Ohne jeden Beleg im historischen Sinn für das Leben und die Taten des heiligen Georg entwickelte sich ein umfangreicher Kult um ihn, der durch seine Rolle in den Legionen christlicher Soldaten aka Kreuzritter, durch die Kreuzzüge also, zusätzlichen Auftrieb erhielt.

Während der Kreuzzüge im späten 11. und frühen 12. Jahrhundert besaß der Glaube an den Schutz der christlichen Ritter durch den heiligen Georg große Bedeutung. Er wurde als Schutzpatron der Kreuzritter verehrt. Er verkörperte mehr und mehr einen militärischen Geist, der weitab einer üblichen Heiligengeschichte spielt. Ihm wurde die Eigenschaft als Drachentöter und die Verkörperung der ritterlichen Ideale angedichtet. Damit wurde er zum idealen Schutzheiligen für die militärisch motivierten "Expeditionen" ins "Heilige" Land. Gemäß der Überlieferung stand Georg den Kreuzfahrern in ihren Schlachten bei, sodass sein Ruf als mächtiger Helfer in nahezu jeder christlichen Nation Europas gefestigt wurde.

Das Georgskreuz, ein rotes Kreuz auf weißem Grund, wurde als Brosche, Emblem und später als Flagge verwendet. Das Kreuz stand für die Identifikation der Ritter mit ihrem Glauben und ihrem Patron, dem heiligen Georg. In England wurde das Georgskreuz sogar zur Nationalflagge und ist gegenwärtig Bestandteil des Union Jack.

Die berühmteste Legende um den heiligen Georg ist die Rettung einer Stadt namens Silena in Libyen. Diese wurde von einem gefährlichen Drachen terrorisiert. Dieses Ungeheuer verlangte tägliche Opfer, die durch Los bestimmt wurden. Als der Tag kam, an dem die Tochter des Königs, manchmal als Prinzessin Sabra benannt, geopfert werden sollte, erschien Georg. Er bekämpfte den Drachen mutig und besiegte ihn, indem er ihn mit einem Lanzenstoß verwundete oder tötete, abhängig von der Version der Geschichte.

Aus Dankbarkeit für seine rettende Tat ließen sich die Bürger der Stadt taufen und wurden zu Christen. Die Legende symbolisiert den Triumph des christlichen Glaubens über das Böse und die Heiden. Nicht zufällig stieg die Popularität des heiligen Georg während der Kreuzzüge, die als "heilige" Kriege zur Befreiung des ebenso "Heiligen" Landes galten.

Zur Ikone im Sinne eines regelrechten Brandings wurde Georg auf einem weißen Pferd, der dem Bösen, dem Drachen die Lanze in den Leib sticht. Ein universalistisches und ebenso propagandistisches Motiv, was direkt aus der Zeit der "Heiligen" Kriege stammt.

Schwertransport


Die Flüsse zählen zu den wichtigsten Transport- und Verbindungswegen von Waren und Menschen im regionalen und überregionalen Verkehr. Dementsprechend sind sie in dieser Region für die Menschen eine wichtige Orientierungs- und Landmarke. Damit dienen sie als natürliches Hindernis, das als territoriale Grenzziehung herangezogen wird.

Für die Movima, damit die Region St. Ana sind es die folgenden Flüsse, die eine hervorgehobene Bedeutung haben: der Rapulo, Apere, Mato, der Río Maniqui, der Iruyañez, Omi und ganz besonders der Río Yacuma und der Río Mamoré. In der Trockenzeit sinkt der Wasserpegel aller Flüsse dramatisch, nur der Yacuma und der Mamoré bleiben in der Regel ganzjährig schiffbar.

Der Yacuma fließt von Westen nach Osten in ca. 3km Entfernung nord-westlich an Santa Ana vorbei und mündet in den Río Mamoré. Santa Ana verfügt über zwei Häfen am Yacuma, dem Puerto Junin und den Puerto San Lorenzo. Während der Regenzeit tritt der Río Yacuma über die Ufer und der Hafen Puerto Junin ist überschwemmt. Mit den Booten und Schiffen kann in dieser Zeit, zwischen Dezember und Mai, direkt an den Santa Ana umschließenden Damm (Circumvalación) angelegt werden.

Die Mobilität von Menschen und der Transport von Waren hängt in erheblichen Maße von der jeweiligen Jahreszeit ab. In der Regel wird frühestens im Mai eine erste Route über Land zwischen Trinidad und Santa Ana befahrbar, die schnellere und besser ausgebaute Nueva Carretera ist jedoch in der Regel nicht vor Ende Juni, Anfang Juli nutzbar.

Insbesondere für die abgelegeneren Gebiete im Norden und Westen ist die Erreichbarkeit über den Landweg noch wesentlich eingeschränkter, ihnen öffnet sich in der Regel nur in der Trockenzeit ein Fenster von drei Monaten, Mitte-Ende Juli bis Anfang Oktober, in der übrigen Zeit bleibt das Land nahezu unpassierbar für Automobile oder Motorräder. Der Einsatz von Pferden und Ochsenkarren – die heute jedoch kaum noch eingesetzt werden – ermöglicht es das enge Zeitfenster einige Wochen nach vorne und hinten zu verschieben. Besonders abgeschieden in diesem Sinne sind die Comunidades im Norden, rund um die großen Seen, wie Jaschaja, Campo Ana Maria und die Region im Westen mit den Comunidades Cachuelita, Monte de Oro. Während die Comunidades im Westen, Cachuela, während der Regenzeit den Río Maniqui als Transportweg nutzen können und im Austausch von Waren und Kommunikation von der höheren Dichte an umliegenden Haciendas profitieren, kommt für die Comunidades im Norden erschwerend hinzu, dass sie nicht an das Flusssystem angeschlossen sind. Alleine in den Monaten August bis Oktober öffnet sich ein kurzes Fenster für den Landweg.

Um Santa Ana zu erreichen, steht die meiste Zeit des Jahres nur der Luftweg zur Verfügung. Ein kostspieliger Weg, der nur selten oder im Notfall benutzt werden kann. Ebenfalls erschwert wird ein regionaler Austausch aufgrund geringer Bewirtschaftungsdichte des Landes und den damit verbundenen längeren und beschwerlicheren Wegen zwischen den Comunidades und Haciendas. Der Grad der Selbstversorgung ist in diesen Comunidades dementsprechend hoch. Die Comunitarios beklagen die fehlende Anbindung an das Zentrum Santa Ana und dessen Märkte.

Zum einen können die landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht oder nur im nahen Umkreis veräußert werden, zum anderen ist die medizinische Versorgung äußerst schwierig und zum Teil gar nicht gewährleistet. Anders als vielleicht zu vermuten wäre, kann nicht prinzipiell von einer höheren Mobilität, besseren Bewegungsfreiheit und Transportsicherheit während der Trockenzeit ausgegangen werden. Entscheidend ist dabei immer die Frage, wer zu welchem Zweck, mit welchen Mitteln ausgestattet und in welcher Region sich in welche Richtung, also mit welchem Ziel, bewegen möchte. Sicher ist jedoch, dass je nach Jahreszeit und Region Wege, Routen und Fortbewegungsmittel unterschiedliche sind. Während der Regenzeit, vor allem in den Monaten Dezember bis April und zum Teil bis in den Mai hinein sind die Flüsse die wichtigsten Verbindungswege. Auch die kleineren Flüsse, die sich in der Trockenzeit in flache Bachläufe verwandeln, wie der Maniquisito und der Mato, führen dann genügend Wasser, um sicher befahrbar zu sein.

In den Monaten großer Niederschläge sind zudem nicht nur die Flüsse selber navigierbar. Es öffnen sich neue Routen, zum Teil kürzere Verbindungen, die durch Überschwemmungsgebiete führen, zumindest für die kleineren Boote. Elementare Bedeutung haben die Wasserwege so für den Transport landwirtschaftlicher Produkte von den Comunidades und den Chacos auf die regionalen Märkte, vor allem nach Santa Ana.

Auch der Wasserweg ist mit nicht unerheblichen Kosten für Treibstoff verbunden, nur wenige Boote werden heutzutage noch ausschließlich rudernd angetrieben. Diese sind natürlich im Transport von Waren und Menschen aus den ländlichen Gebieten nach Santa Ana und zurück wesentlich preiswerter.

Musik für unterwegs:

Um die Dimensionen zu verdeutlichen seien einige Beispiele an dieser Stelle angeführt. Die comunidad San Jorge del Mapajo liegt kurz hinter der Mündung des Río Yacuma am Río Mamoré und ist in der Regel ganzjährig über den Wasserweg zu erreichen. Über Land besteht in den Monaten Juli bis September oder Oktober die Möglichkeit per Motorrad nach San Jorge del Mapajo zu gelangen. Während die Wasserroute von Santa Ana aus zwischen 1,5 und 2,5 Stunden flussabwärts und 2,5 bis 3,5 Stunden flussaufwärts beträgt, liegt die Fahrtzeit per Motorrad unter einer Stunde. Die Erreichbarkeit von Santa Ana aus ist somit das ganze Jahr über sehr gut gewährleistet. Nicht zuletzt ein Grund, warum am Lauf des Mamoré, die von der Bevölkerung her zahlenmäßig größten Comunidades, zu finden sind.

Anders verhält es sich mit den Comunidades Cachuelita oder Monte de Oro, im Süd-Westen von Santa Ana. Der Wasserweg führt von Santa Ana aus flussabwärts über den Yacuma bis zur Mündung des Yacuma in den Mamoré, von da flussaufwärts bis zur Mündung des Apere, dann den Apere entlang flussaufwärts bis zur Mündung des Maniqui und diesen schließlich entlang bis Cachuelita. Die Fahrtzeit beträgt je nach Fracht, Bordmotor und Fahrtrichtung zwischen drei und fünf Tagen und ist nur in den Monaten Dezember bis April, abhängig vom Wasserstand der Flüsse, manchmal bis Mai befahrbar. In der Trockenzeit kann die Comunidad mit dem Motorrad in vier bis sechs Stunden, abhängig vom Zustand der Straße und Wege erreicht werden. Je weiter weg von Santa Ana, desto schlechter werden die Wege, bis es sie zu Trampelpfaden von Rinderherden werden. Nur äußerst selten, meistens nach der Patronatsfeier, wird Cachuelita und die auf dem Weg liegende Comunidades mit einem LKW der Alcaldía angefahren, um die Besucher der Feierlichkeiten und Materialien für die Schule und andere Güter und Hilfsmittel zu überführen.

Die Fahrt mit dem Motorrad ist zwar kurz, dafür aber auch sehr kostspielig und für die meisten Comunitarios kaum bezahlbar, zumal mit dem Motorrad kein Gepäck, geschweige denn mehrere Personen und Waren transportiert werden können. Eine Mitfahrgelegenheit auf einem Kleinlastwagen oder Jeep ist ebenfalls nur selten zu finden, sodass die Regenzeit, trotz der langen Fahrtzeiten, die beste Zeit für Reise und Transport ist.

Wieder anders verhält es sich mit den Comunidades im Norden von Santa Ana, wie ’Jasschaja oder Santa Isabel am oder in der Nähe vom Lago Ginebra oder Campo Ana Maria im Süden vom Lago Largo. Die Region wird von einer Seenplatte mit großen Binnengewässern geprägt, ist aber ansonsten kaum an das Flusssystem angeschlossen, welches Santa Ana mit dem Umland verbindet. Wie oben beschrieben gehört diese Region der Provinz Yacuma zum Verwaltungsbezirk Cayubaba. Santa Ana und nicht Exaltación ist auch hier der Dreh- und Angelpunkt, in allen wichtigen Belangen der Orientierungspunkt und das Zentrum, dem man sich zugehörig fühlt.

Die Erreichbarkeit dieser Region ist von Santa Ana aus jedoch nur sehr eingeschränkt gewährleistet. Da der Wasserweg ausscheidet, steht nur ein kleines Fenster von drei Monaten offen, in denen Menschen und Waren über Land bewegt werden können. Nur von Ende Juli bis Oktober sind die Landwege, die über eine ausgedehnte Pampa führen und in einem meist sehr schlechten Zustand sind, mit kleinen Transportern oder Motorrädern passierbar.

In der übrigen Zeit des Jahres bleibt nur der Luftweg. Per Cessna ist ’Jasschaja in einer halben Stunde von Santa Ana aus zu erreichen, mit einem Transporter müssen zehn Stunden bis 1,5 Tage eingeplant werden.

Musik für unterwegs:

Ein letztes Beispiel stammt von einer Comunidad ganz im Süden der Provinz Yacuma, dem in der Nähe von San Ignacio gelegenen Carmen del Mato. Obschon Santa Ana verwaltungstechnisch auch für diesen Ort zuständig ist, orientieren sich die Bewohner wesentlich stärker nach San Borja, einer Stadt von 20.000 Einwohnern, in der Provinz José Ballivián. Ein nahe liegender Grund ist die Lage der Comunidad, in der Nähe einer verhältnismäßig gut ausgebauten, ganzjährig befahrbaren Straße, die San Ignacio und San Borja verbindet. Mit etwas Glück kann in fünf Stunden San Borja erreicht werden.

Zunächst führt der Weg drei Stunden auf einem schmalen Pfad per Pferd oder Reitochsen zur Transitstrecke zwischen San Borja und San Ignacio, die auch von Bussen, LKWS, Viehtransportern und ähnlichem befahren werden kann und dann per Autostopp in weniger als zwei Stunden nach San Borja. Trotz der auf den ersten Blick gut erscheinenden Anbindung an regionale Märkte fehlt bisher ein ausgebauter Weg von der Comunidad zur Straße, für kleinere Transporter. Größtes Bestreben ist der Ausbau einer solchen Verbindung, da der Transport von Waren und Menschen mit Pferden und Reitochsen nicht nur beschwerlich, sondern auch kostspielig ist. Bewohner und Besucher müssen aus der Stadt kommend oder in die Stadt wollend einen ’Abholdienst’ beziehungsweise ’Bringdienst’ von oder zur Straße organisieren. Waren in größerer Menge oder Produkte aus der Comunidad können so nicht oder nur in geringem Umfang transportiert und auf dem Markt gewinnbringend verkauft werden.

Santa Ana selber ist, wie schon kurz angesprochen, in den Monaten Juni-Juli bis Oktober über den Landweg und ganzjährig über den Wasserweg zu erreichen. Der Wasserweg über den Río Yacuma und Río Mamoré ist vor allem als Transportweg unersetzlich für Santa Ana. Die Verladung von Vieh, Treibstoff, Lebensmitteln und nahezu allem, was die Stadt braucht, wird über den Mamoré aus Trinidad angeliefert. Der Personenverkehr in die Hauptstadt des Departements und damit in das nächstgelegene Zentrum von Santa Ana aus, ist dagegen in der Regenzeit stark eingeschränkt. Sechs bis sieben Monate im Jahr steht der Landweg nicht zur Verfügung, sodass nur der Luftweg bleibt. Cessnas 100 bedienen die Strecke mehrfach täglich, der Flug kostet jedoch doppelt so viel, wie die Fahrt mit einem Transportunternehmen über Land. Aber schon der Preis des Transporters oder Jeeps ist im nationalen Vergleich des Personenverkehrs sehr hoch.

Für die ärmere Bevölkerung sind Flüge generell nur schwer oder gar nicht zu finanzieren. Der lange, beschwerliche und ebenfalls kostspielige Wasserweg mit Transportschiffen scheint keine Alternative zu sein, da diese Verbindung kaum genutzt wird. In der Trockenzeit, vor allem in den Monaten Juli bis Oktober ist dann die Nueva Carretera der wichtigste Verbindungsweg für den Personenverkehr und wird nicht nur von der ärmeren Bevölkerung intensiv genutzt. Ein geländegängiger Jeep oder Transporter kann die Strecke zwischen Santa Ana und Trinidad mittlerweile – die Straße wird jedes Jahr weiter ausgebaut und durch Aufschüttungsarbeiten und den Bau von Wasser-Abflusssystemen stabilisiert – in vier Stunden zurücklegen.Da Reisen, egal ob über Wasser oder über Land in dieser Region und fast im ganzen Beni meist als schwierig, beschwerlich, nicht ungefährlich und langwierig erfahren wird, bedeutet die Anbindung über die Nueva Carretera immer mehr. Sie ersetzt auch bei den Wohlhabenderen zunehmend die Cessnas.

Plurinationale „Ethnogramme“ und das universale "Indigen-Sein": Teil1

Im Jahr 1976 beklagte Jürgen Riester noch die Geringschätzung, die der Anthropologie in Bolivien entgegengebracht wird und das Fehlen anthropologischer Studien in den Bibliotheken der Universitäten. Insbesondere die indigene und marginalisierte Bevölke- rung im Tiefland Boliviens, so Riester, sei bis dahin von der bolivianischen Gesellschaft kaum wahrgenommen und wenn, dann als Menschen zweiter Klasse behandelt worden (Riester 1976: 9-10). Auch Ana María Lema Garrett fragt 1998 kritisch, wer vor 20 Jahren schon wusste, das Bolivien ein amazonisches Land ist und resümiert, dass zu dieser Zeit die Departements Beni und Pando als nahezu menschenleere Wildnis imaginiert wurden: «En esos tiempos, los departamentos del Beni y de Pando eran considerados como la trastienda del país, con el cliché de un reservorio de recursos naturales, sin gente o con algunos pobladores fuera del tiempo» (Lema Garrett 1998: 7). Diese Situation änderte sich bis in die 1990er Jahre hinein schlagartig. Zahlreiche Studien über indigen definierte Gruppen im Tiefland erschienen. Zu nennen sind hier beispielsweise Arbeiten der Nichtregierungsorganisation APCOB, die unter anderem sozio-kulturelle Beschreibun- gen einzelner indigener Gruppen in der Reihe „Pueblos Indígenas de las Tierras Bajas de Bolivia“ herausbrachte, vor allem zu Guaraní, Chiquitano, Chimane und Ayoreode (Riester 1976; Riester 1993; Krekeler 1993; Heijdra 1996). Zu nennen sind vor allem auch die stärker soziologisch ausgerichteten Arbeiten von Zulema Lehm Ardaya, unter anderem zu sozialen Bewegungen, Konflikten und Rückforderungen von Land (Lehm Ardaya 1991; Lehm Ardaya 1999; Lehm Ardaya 1993) oder CIDOB zur Geschichte der Protestmärsche (CIDOB und APCOB 1996), Albert de Vries zur Situation von Land und Terrirorium der indigen definierten Bevölkerung im Tiefland (Vries 1998) oder Arnaldo Lijerón Ca- sanovas zur Geschichte der bolivianischen Amazonasregion (Lijerón Casanovas 1998), um nur einige wenige Beispiele an dieser Stelle zu benennen. Während bis in die 1980er Jahre hinein deutlich die Anthropologisierung und Folklorisierung indigen definierter Gruppen im Tiefland Boliviens in Gesellschaft und Wissenschaft vorherrschte, so diese überhaupt zum Thema gemacht wurden, erschienen spätestens ab den 1990er Jahren zunehmend Arbeiten mit einer soziologischen und sozio-politischen Schwerpunktsetzung (Molina Argandoña et al. 2008a: 30).

Esta marcha hace posible

Themen waren nun die Anerkennung territorialer und staatsbürgerlicher Rechte einer indigen definierten Bevölkerung, die Verbindung von Umweltschutz und Menschenrechtsfragen, der Umgang mit nachwachsenden Rohstoffen, der Erhalt der kulturellen Vielfalt, die sozio-ökonomische Reproduktion, soziale Struktu- ren der Ungleichheit oder auch Kommunikations- und Organisationsstrukturen. Viele dieser Arbeiten entstanden in Zusammenarbeit mit oder im Auftrag von Nichtregierungs- organisationen, wie APCOB oder CIDDEBENI. Die Frage nach der Konstruktion sich vielschichtig überlagernder sozialer, regionaler oder urbaner Identitäten wurde zu diesem Zeitpunkt nur sehr vereinzelt berücksichtigt, vielmehr stand die Bestandsaufnahme und Klassifizierung ethnisch definierter Gruppen im Vordergrund des Interesses und der praktischen Notwendigkeit (vgl. Molina Argandoña et al. 2008a: 26).

Die Thematisierung und Evaluierung indigen definierter Gruppen des Tieflandes ging Hand in Hand mit der Formierung sich ethnisch definierender Organisationen seit den 1980er Jahren in den Departements Santa Cruz, Beni und Pando. Die Herausbildung von Organisationsstrukturen, die Vernetzung der Akteure und die inhaltliche Ausrichtung der Bewegung wurde im Tiefland wesentlich durchgreifender als im Hochland von Anfang an von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) maßgeblich begleitet und entscheidend mitgestaltet.

„If CSUTCB was born in the world of the political and social left, CIDOB was born in the world of NGOs and international development organizations“ (Lucero 2008: 91), so José Antonio Lucero.

Die Nichtregierungsorganisation APCOB nahm im Aus- und Aufbau der ersten regionalen Netzwerke indigen definierter Gruppen, die von der Capitanía Izozog im Chaco ausgingen und in der Gründung von CIDOB (Central Indígena de Pueblos y Comunidades Indígenas del Oriente Boliviano) mündeten, in den 1970er Jahren eine Schlüsselrolle ein, organisierte Workshops, öffnete Kommunikations- kanäle zwischen den Akteuren und zu nationalen und internationalen Stellen, stellte eine Infrastruktur zur Verfügung und trug mit den wissenschaftlichen Arbeiten zu einer inhalt- lichen Ausrichtung und Bestimmung der Bewegung bei (vgl. Yashar 2005: 200-101).

Die Gründung von CIDOB als Dachverband sich indigen definierender Akteure im Tiefland. Die Nichtregierungsorganisationen PIEB (Programa de Investigación Estratégica en Bolivia) und Fundación UNIR brachten in jüngster Zeit einige Studien zur sozialen Konstituierung lokaler und regionaler Identitäten heraus, wie die hier bereits mehrfach zitierte Arbeit von Wilder Molina Argandoña und Anderen zu Gesellschaft und Kultur der Amazonasregion Boliviens und der Thematisierung sich überschneidender und in einer Beziehung stehender Identitäten, wie einer nationalen, regionalen, lokalen oder ethnischen (siehe Molina Argandoña et al. 2008a und in einer etwas anderen Zusammenstellung Molina Argandoña et al. 2008b; siehe auch Molina Argandoña und Soleto Selum 2002). Explizit die politische Konstruktion von Identität im Hochland Boliviens thematisiert eine von der Fundación UNIR herausgebrachte Studie aus dem Jahr 2009 (Arnold 2009). Die Autoren hinterfragen kritisch gängige Essentialismen eines „Hochland-Indigen-Seins“, wie Reziprozität, dem Dualismus von Mann und Frau als Partnerschaftsideal (chachawarmi) und einer K osmovision, basierend auf dem Prinzip des vivir bien (Arnold 2009: 25).

CIDOB weitete in den folgenden Jahren die Aktivitäten auf andere Regionen im Tiefland aus und war an der Herausbildung von Organisationsstrukturen im Beni maßgeblich beteiligt (Lehm Ardaya 1999: 100). Von Anfang an aktiv begleitet und gefördert wurde die Formierung indigen definierter Organisationseinheiten auch hier von NGOs, insbesondere von CIDDEBENI (Centro de Investigación y Documentación para el Desarrollo del Beni), von kirchlichen Einrichtungen wie der Pastoral Indígena des apostolischen Vikariats des Beni mit Sitz in Trinidad sowie von staatlichen Institutionen wie dem Servicio Nacional de Educación Popular (SENALEP) (Lehm Ardaya 1999: 100). Der Aufbau von Organisationseinheiten verlief in diesem Fall ausgehend von einem urbanen Kontext zunächst über eine Rekonstituierung der Cabildos Indigenales von Trindidad und benachbarter Gemeinden. 1987 mündeten diese Aktivitäten in der Gründung der Central de Cabildos Indigenales Mojeños (CCIM), die wiederum den Aufbau lokaler politischer Strukturen einer indigen definierten Bevölkerung in anderen Gemeinden unterstützte, so dass Subcentrales in San Javier, San Ignacio, San Lorenzo, San Franzisko und 1988 für die comunidades des Nationalparks Isiboro-Sécure ins Leben gerufen wurden (Lehm Ardaya 1999: 100). Aus der CCIM ging im Jahr 1989 auf dem ersten Kongress der Cabildos Indigenales y Pueblos Nativos del Beni schließlich die CPIB (Central de Pueblos Indígenas del Beni) als Dachorganisation indigen definierter Gruppen im Beni hervor (Lehm Ardaya 1999: 102).

Auf dem Kongress wurde nicht nur die CPIB gegründet, sondern der Entschluss zu einem öffentlichen Protestmarsch gefasst, der einige Monte später konkretisiert und schließlich realisiert wurde (Suárez 2002: 75). Der erste Marsch vom Tiefland Richtung La Paz im Jahr 1990, der Marcha Indígena por el Territorio y la Dignidad, ist nicht nur als ein symbolträchtiges Ereignis zu verstehen, sondern vielmehr als vorläufiger Höhepunkt eines Prozesses, der mit dem Aufbau von Organisationsstrukturen seit den 1980er Jahren neue soziale Akteure im Tiefland hervorbrachte und der mit einem Wandel der öffentlichen und politischen Wahrnehmung der indigen definierten Bevölkerung der Tieflandregionen einherging (vgl. Molina Argandoña et al. 2008a: 28).

Die Gründung von CIDOB ging aus einer Versammlung von Vertreter/-innen der Guaraní-Izoceño, Chiquitano, Ayoreo und Guarayo hervor (CIDOB 2008: 17), die später eigenständige Organisationen gründeten, dabei aber aktive Mitglieder von CIDOB als indigener Konföderation blieben (siehe CIDOB 2008: 22). Mit Ausdehnung der Aktivitäten in die Amazonasregion hinein und zunehmender politischer Verankerung in weiten Teilen des bolivianischen Tieflandes änderte CIDOB den eigenen Namen in Confederación Indígena del Oriente, Chaco y Amazonía de Bolivia. Der Konföderation sind heute zahlreiche lokale und regionale Organisationen angeschlossen. Nach eigenen Aussagen ist die CIDOB damit bei 34 indigen definierten Völkern im Tiefland verankert (CIDOB 2008: 18).

CIDDEBENI wurde 1984 in Trinidad mit dem Ziel die regionale Entwicklung zu fördern gegründet. Zunächst standen ökonomische Fragen und die Nutzung nachwachsender Rohstoffe, vor allem Wald, im Mittelpunkt von Studien und Seminare. Ab 1987 verlagerte sich die Ausrichtung von CIDDEBENI, nun stand die Unterstützung indigen definierter Gruppen in der Anerkennung territorialer Rechte im Vordergrund des Interesses.

Der CPIB sind heute 20 Subcentrales im Departement Beni angeschlossen, darunter auch die Subcentral de Pueblos Indígenas Movimas. Im Jahr 2002 spaltete sich die Organisation aufgrund politischer Auseinandersetzungen und Führungsstreitigkeiten in CPIB und CPEMB (Central de Pueblos Étnicos Mojeños del Beni.

Erinnert wird der Protestmarsch von Seiten der Akteure insbesondere als eine erfolg- reiche öffentliche Manifestation gegen Ausgrenzung und Nichtbeachtung der „indigenen Völker“ im Tiefland Boliviens, als ein erstes Vordringen der indigen definierten Bevöl- kerung in das gesellschaftliche Gefüge des Landes:

«Esta marcha también logra que la sociedad en su conjunto reconozca la existencia de los Pueblos Indígenas, y ponga en la agenda pública la realidad de nuestros pueblos postergados e ignorados en el desarrollo del país» (CIDOB 2008: 13).

Der Protest soll damit vor allem mit dem „Mythos der leeren Wälder“ aufgeräumt und gezeigt haben, dass dort Menschen leben, keine Barbaren oder Wilde, sondern politische Akteure, die eine neue politische Kultur geschaffen haben:

El discurso de los indígenas puso especial atención en desplazar una serie de equiva- lencias referidas a lo indígena que mantenían en los contenidos de la cultura política del Estado, por ejemplo el indígena como parte del pasado, como traba del desarrollo, como salvaje e individuo menor de edad, y por tanto un no ciudadano. Contra el „mito de los bosques vacíos“ el movimiento indígena a través de la marcha cumple también una función expresiva y busca demostrar „en carne propia“ que sus miembros existen y que los bosques siguen ocupados por comunidades de diferentes pueblos indígenas. (Molina Argandoña et al. 2008a: 122)

Der Marsch wird als der zentrale Wendepunkt in der politischen Ausrichtung des Landes gegenüber der bis dahin marginalisierten Bevölkerung begriffen, die mit dem Marsch ihre Rechte als bolivianische Staatsbürger einforderten (Suárez 2002: 87). Und tatsächlich folgten in den 1990er Jahren eine Reihe staatlicher Reformen, die spezifische Rechte einer indigen definierten Bevölkerung zugestanden und auf einer multikulturellen Neuaus- richtung des Staates zielten.

An dieser Stelle muss gefragt werden, warum eine ethnische Kategorisierung von den verschiedenen an diesem Prozess beteiligten Akteure von Anfang an gewählt wurde? Das was heute als eine scheinbar natürlich vorgegebene Entwicklung erscheint, nämlich dass die soziale Bewegung im Tiefland von vornherein in Selbst- und Fremdzuschreibung ethnisch definiert wurde und sich über eine bestimmte Definition von Indigen-Sein organisierte und daraus weitere Forderungen ableitete, war kein zwangsläufiger Prozess. In dieser Arbeit kann nicht im Detail auf die Entwicklung der sozialen Bewegungen im Tiefland eingegangen werden, auch nicht auf Fraktionskämpfe und widerstreitende Positionierungen, die den Prozess von Anfang an ebenfalls begleitet haben und bis heute begleiten (siehe dazu Ávila Montaño 2009: 56-61). Weiterführende Darstellungen zu Entwicklung und Aufbau von Organisationsstrukturen im Tiefland von Bolivien und der Rolle von Nichtregierungsorganisationen bei diesem Prozess sowie vergleichende Hintergrundanalysen bieten unter anderem die bereits zitierten Arbeiten von José Antonio Lucero (2008) und Deborah J. Yashar (2005). Insbesondere die Verbindung neoliberaler Politik mit einem staatlich geförderten Multikulturalismus und die Auswirkungen dieser Politik auf den Ein- und Ausschluss bestimmter Akteure sowie die Rolle von NGOs in diesem Prozess beschreibt Nancy Postero am Beispiel von Guaraní in Santa Cruz de la Sierra (Postero 2007).

In den Departements Beni und Pando existierten bis zur Gründung der CCIM beispielhaft keine ethnisch definierten Organisationen, die ein ganzes Volk oder ein Volk und ein Territorium repräsentiert und daraus Forderungen gegenüber dem Staat abgeleitet hätten (Molina Argandoña et al. 2008a: 115). Bestehende Organisationsstrukturen, wie die Cabildos Indigenales, waren vielmehr auf die lokale, nach innen gerichtete und örtlich spezifische Reproduktion von Gemeinschaft ausgerichtet und sind es vielfach immer noch, wie auch im Falle des Cabildo Indigenal Movima. Das Cabildo Indigenal Movima vertritt auch heute noch die Interessen der indigen definierten Bevölkerung von Santa Ana del Yacuma und sich dem Zentrum zugehörig zählender Dörfer und nicht ein ortsunabhängiges ethnisches Konzept von „Indigen-Sein“.

Ein in erster Linie ortsgebundenes Konzept von Identität ist typisch für viele Regionen im Beni, insbesondere auch für die ehemaligen Jesuitenmissionen. Die Kategorie „Movima“ kann in diesem Zusammenhang sowohl auf den Ort Santa Ana del Yacuma und die Bevölkerung von Santa Ana insgesamt verweisen, als auch auf „Indigen-Sein“. Der Ausspruch „Ich bin Movima“ verweist insofern einmal auf eine örtlich und einmal auf eine ethnisch definierte Herkunft und bedeutet: „Ich stamme aus Santa Ana del Yacuma und Umgebung ab“ oder „Ich stamme aus Santa Ana del Yacuma ab und bin indigen“. Dieser Befund lässt sich auf andere Orte wie San Joaquín oder San Ignacio übertragen, wo eine ortsgebundene Identität über die Bezeichnungen joaquiniano oder iganciano zum Ausdruck gebracht wird (siehe dazu Molina Argandoña und Soleto Selum 2002: 121).

Molina Argandoña und Soleto Selum zeigen in dieser Studie außerdem, dass bis in die 1990er Jahren in San Ignacio und San Joaquín eine ethnische markierte Identität nicht artikuliert wurde und von „indigenen Völkern“ nicht die Rede war, weder in den urbanen Zentren noch im ländlichen Raum (Molina Argandoña und Soleto Selum 2002: 70, 122). Kurz nach dem Marsch auf La Paz war dann jedoch von einem „pueblo indígena joaquiniano“ die Rede (Molina Argandoña et al. 2008a: 125). Eine andere Studie zeigt die Wiederentdeckung der ethnischen Kategorie „Takana“ im Nordosten Boliviens ebenfalls in den 1990er Jahren im Zuge der Gründung einer indigen definierten Dachorganisation der Region, der Central Indígena de la Región Amazónica Bolivia (CIRABO) und der nationalen Anerkennung indigener Rechte (Herrera et al. 2004). Ganze Dorfgemeinschaften erklärten sich 1996 zu comunidades indígenas tacanas (Herrera et al. 2004: 52). Der Beitritt zur CIRABO und die Selbstdefinition als indigene Gemeinschaften eröffnete den Akteuren in diesem Moment zum einen die Möglichkeit als politische Akteure in der Region aufzutreten und zum anderen die Landfrage neu zu verhandeln (Herrera et al. 2004: 56). Ein kategorialer Wandel der Selbst- und Fremddefinition vom campesino zum indígena und in diesem speziellen Fall zum takana hat stattgefunden (Herrera et al. 2004: 53).

Dieser Prozess kann unterschiedlich analysiert werden, entweder als eine Form der Ethnisierung des Politischen und der Konstruktion kollektiver Identitäten auf Basis ethnischer Markierungen in einem politischen Feld oder als ein Prozess der Rückbesin- nung indigener Völker auf ihre „echten Wurzeln“, auf ein immer schon dagewesenes und nur durch die Kategorie campesino überlagertes „Indigen-Sein“, das nun unter geänderten gesellschaftlichen Bedingungen auf Anerkennung und Rückgewinnung der eigenen kulturellen Werte drängt.

Die letztgenannte Interpretation ist im Rahmen der Dekolonialisierungsdiskurse von Staat und Gesellschaft in Bolivien heute die gängige Lesart. Vernachlässigt wird dabei jedoch die strukturelle Proliferation eines universellen „Indigen-Seins“ durch die verschiedenen an dem Prozess beteiligten Akteure und Diskurse. Die Politisierung kollektiver Identitäten über eine ethnische Klassifikation führte zu einer Instituionalisierung des Indigenen als einer universalen Kategorie, die in diesem Prozess neu definiert wurde (vgl. Molina Argandoña et al. 2008a: 29). Wilder Molina Argandoña und Andere weisen darauf hin, dass Begriffe wie „indigen“, „indigenes Volk“ oder „indigenes Territorium“ als Teil eines politischen Kampfes zu verstehen sind, bei dem es auch um die Umdeutung einst negativ besetzter sozialer Klassifikationen wie „Barbaren“ oder „Waldmenschen“ geht (Molina Argandoña et al. 2008a: 29). An der Neudefinition des „Indigene“ waren die oben erwähnten externen Expert/-innen maßgeblich beteiligt, deren Studien als Vorlage offizieller Dokumente über die soziale, kulturelle und territoriale Situation ethnisch abgegrenzter kollektiver Einheiten dienten (Molina Argandoña et al. 2008a: 31).

Die Durchsetzung partikularer Interessen und Grenzziehungen sowie die Repräsentation und Essentialisierung kollektiver Identitäten fand über einen globalen Metabegriff von „Indigen-Sein“ statt. Dieser globale Begriff von „Indigen-Sein“ baut im Tiefland in erster Linie auf das Konzept des „Territoriums“ auf. Territorium bedeutet in diesem Zusammenhang nicht einfach Landbesitz. Das Konzept enthält vielmehr eine umfassende politische, soziale und kulturelle Definition des Raumes. Zu den zentralen Elementen dieses Raumes gehören Autonomie, alternative Entwicklungs- und Bewirtschaftungstrategien sowie der Schutz der natürlichen Umwelt (vgl. Lucero 2008: 92). Die Schaffung von autonomen territorialen Einheiten für indigen definierte Gruppen war seit der Grüdnung von CIDOB im Jahr 1982 deren erklärtes und oberstes Ziel und prägte den weiteren Aufbau von Organisationsstrukturen innerhalb der indigen definierten Bevölkerung im Tiefland wie kein anderes Thema. Der erste Marcha Indígena stand so auch ganz unter dem Zeichen dieses Themas. Konkret ging es um die Durchsetzung territorialer Rechte der indigen definierten Bevöl- kerung dreier Regionen im Departement Beni. CPIB und CIDOB sahen nach eigenen Aussagen mehr als 10.000 Mitglieder verschiedener „ethnischer Gruppen“ im Nationalpark Isiboro-Sécure, im Bosque de Chimanes und in El Ibiato bedroht, ihr Land und damit ihre Identität und Kultur zu verlieren (CIDOB und APCOB 1996: 4).

Hintergrund der Protestbewegung war der zunehmende Druck auf die lokale Bevölkerung durch kom- merzielle Holzfäller im sogenannten „Wald der Chimane“ und durch die Ausdehnung der Rinderzucht im Gebiet der Sironó. Im Nationalpark Isiboro-Sécure richtete sich der Widerstand der einheimischen Bevölkerung vor allem gegen eine Zuwanderung von Kokabauern aus dem Hochland, den sogenannten colonos. Vor allem der „Wald der Chimane“ spielte in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle und verweist auf den großen Einfluss, den globale Diskurse über internationale Entwicklungshilfeprogramme und Umweltverbände zum Schutz des Amazonas auf die sich seit den 1980er Jahren um ethnische Markierungen definierende soziale Bewegung im Tiefland von Bolivien genom- men haben. Mit „Wald der Chimane“ ist ein subtropisches Wald- und Savannengebiet im Südwesten des Departements Beni in der Nähe der Ortschaften San Borja und San Ignacio bezeichnet. Die indigen definierte Bevölkerung dieses Gebietes wird den Chimane, Yuracaré, Mojeños und Movima zugeordnet. Besonders wertvolle Baumbestände machen den Wald für die kommerzielle Nutzung durch Holzfäller interessant. 1978 wurde das Gebiet zunächst durch den Staat unter Schutz gestellt und 1982 wurde ein Teilgebiet im Norden durch die UNESCO zum Biosphärenreservat ernannt. Starke Lobbyarbeit durch die Holzindustrie wird dafür verantwortlich gemacht, dass der Staat 1986 große Waldgebiete zur produktiven Zone erklärte und damit für den kommerziellen Holzabbau frei gab (Lehm Ardaya et al. 1993). Schnell kam es zu Konflikten zwischen der indigen definierten Bevölkerung des Gebietes, Holzfällern und weiteren zivilen Akteuren mit einem Interesse in diesem Konflikt. Zwischen 1987 und 1988 wurden die ersten Gesuche zur juristischen Anerkennung bestimmter Gebiete als indigene Territorien in dieser Region an den Staat gestellt. Den Gesuchen folgten die ersten offiziellen Studien, die der Evaluierung der sozio-ökonomischen Situation in der Region und Festlegung möglicher territorialer Grenzen dienen sollten. Die Studien begannen im „Wald der Chimane“ und wurden in der folgenden Zeit auf die Region Isiboro-Sécure und ab 1989 auf das Gebiet El Ibiato ausge- weitet (Navia Ribera 2003: 24). Die Studien wurden von staatlichen Stellen durchgeführt und maßgeblich von CPIB, NGOs wie CIDDEBENI, Umweltverbänden und kirchlichen Einrichtungen begleitet (Navia Ribera 2003: 18-20). Nach dem Protestmarsch im Jahr 1990, der die erste juristische Anerkennung bestimmter Gebiete als indigene Territorien durch den Staat erreichte, nahmen die Aktivitäten im amazonischen Tiefland rund um die Frage nach territorialer Selbstbestimmung der indigen definierten Bevölkerung und kultureller Revitalisierung ebenfalls als indigen definierter Wissenssysteme noch einmal drastisch zu. Neben einer Bereicherung des Wissens über bestimmte Regionen, haben die Studien ganz praktische Funktionen und Effekte im politische Felde gehabt. Auf der einen Seite haben sie die Forderungen der indigen definierten Akteure nach Territorium im Beni und später auch im Pando argumentativ untermauert. Auf der anderen Seite nahmen sie Einfluss auf die Verankerung eines neuen Typus von Landbesitz, dem sogenannten „ursprünglichen Gemeinschaftslandes“ (sp. Tierra Comunitaria de Origen oder abgekürzt TCO), das mit der Agrarreform im Jahr 1996 und dem neuen Ley INRA juristisch verankert wurde (Molina Argandoña et al. 2008a: 26).

Die juristische Legitimierung indigen definierten Gemeinschaftslandes erhöhte zum einen die Gesuche, die an den Staat zur Anerkennung indigen definierter Territorien gestellt wurden, legte zum anderen aber auch den Weg, der zur Anerkennung führt, normativ fest. Ein zentraler Bestandteil in dem Prozess der Anerkennung von Gebieten als ursprüngliches Gemeinschaftslandes ist die Evaluierung der zur Disposition stehenden Gebiete durch staatliche Stellen und die Erhebung sogenannter „räumlicher Bedürfnisse“ (sp. necesidades espaciales) der indigen definierten Bevölkerung der Gebiete und der Festlegung der territorialen Grenzen. Nicht nur die Anzahl diagnostischer Studien nahmen nach der Agrarreform von 1996 noch einmal drastisch zu, vor allem verliefen diese Studien seitdem nach einem einheitlichen Muster, dem eine normative Festschreibung von „Indigen-Sein“ zugrunde liegt.

E-Herra!!! Este proceso se inició en 1990 y se formalizó en los años siguientes con las promulgaciones de las leyes de Participación Popular (1994) de Reforma Educativa (1995), y del Servicio Nacional de Reforma Agraria (1996 la realización del trabajo de campo del Primer Censo Indígena Rural de Tierras Bajas (CIRTB) en el año 1994. Esta tarea financiada por la cooperación sueca, organizada por el Instituto Nacional de Estadística (INE), la Subsecretaría de Asuntos Étnicos (SAE), el Programa de la Naciones Unidas para el Desarrollo (PNUD) y avalada por CIDOB uno de los primeros avances de las negociaciones entre las organizaciones indígenas y el Estado, luego de la apertura del gobierno de 1993 al tema indígena.

Verfassung und normative Festlegungen des Indigen-Seins DAZU vor allem Debatte um Multikulturellem Neoliberalismus aufgreifen, die Institutionalsiierung des Indigenen und die Schaffung „gezähmter Indianer“ und eines "Regime of Representations."

Es lässt sich die Konstruktion eines universalisierten-ökologischen "Indigen-Seins" als eine aus unterschiedli- chen Quellen gespeiste Narration von realem "Indigen-Sein" verstehen. Viele dieser Quellen stammen aus dem Kolonialismus und reflktieren eine paradisische Vorstellung von "Indigen-Sein", die schon zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine Reflexion der Weißen auf die Industrialisierung ihrer eigenen Länder war. Territoriale Rechte und kulturelle Revitalisierung Land, Identität, Kultur ergibt die Forderung nach Territorium als einzig machbare Losung.

Was nicht bedeuten soll, dass die lokalen Akteure passive Statisten waren (vgl. Yashar 2005). Was allerdings ein Grund sein kann, warum die Anthropologisierung nie überwun- den wurde und ein ethno-ökologische Ideologie entwickelt wurde.

Noch einmal betont werden muss, dass im Tiefland der Einfluss externer Fachkräfte beim Aufbau der Organisationsstrukturen indigen definierter Akteure ein maßgeblicher Faktor war. Damit soll nicht gesagt werden, dass die lokalen Akteure sich blind einer Fremdbestimmung hingegeben und keine eigenen Führungspersönlichkeiten hervorgebracht sich Handlungsräume erschlossen hätten. Auch die Gefahr der Manipulation wurde durchaus gesehen (Ströbele-Gregor et al. 1994: 119). Das Fehlen materieller Res- sourcen, Armut, eine fehlende Infrastruktur und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen urbanen Zentren und abgelegenen schwer zugänglichen Regionen im Tiefland, ein geringer Grad der Alphabetisierung auf dem Lande, tiefgreifende strukturelle Ungleichheiten, fehlende Erfahrungen Forderungen in der politischen Arena zu formulieren, zu verhandeln und erfolgreich durchzusetzen sind nur einige der Schwierigkeiten, die einen Organisations- aufbau innerhalb der subalternen Bevölkerung ohne finanzielle, logistische und inhaltliche Unterstützung von Außen deutlich erschwert hätten, zumindest zu diesem Zeitpunkt. Wie Juliana Ströbele-Gregor und Andere treffend feststellen, wurden die wichtigen ethnisch definierten Organisationen im Tiefland durch den Einfluss von Kirchenvertretern und Anthropologen „erschaffen“ oder auf den Weg gebracht, was als Konsequenz eine explizite und eine implizite Abhängigkeit bedeutet (Ströbele-Gregor et al. 1994: 119). Prinzipielle Merkmale der indigenen Völker im Tiefland Diéz Astete und Murillo (Díez Astete und Murillo 1998) und eine aktuelle Arbeit dazu (Díez Astete 2011) Dann Ana María Lema Garrett, Beschriebung der „Völker“ (Lema Garrett 1998) Heute liegen für alle in der Verfassung festgeschriebenen „indigene Gruppen“ zumindest Kurzbeschreibungen vor.

Ethnizität wird auch folgendermaßen definiert, in erster Linie räumlich:

«La etnicidad es la identidad cultural y social étnica sentida y conservada por un pueblo, o conjunto de pueblos, o por sus miembros, sean nativos o no del pueblo de que se trata, y sea por pertenencia natural o por adscripción psicológica e histórica. Etnicidad es el grado de identidad reproductiva de una etnia o pueblo indígena, sobre la base del mantenimiento de su hábitat originario, el territorio, y la cohesión y solidaridad del grupo en torno a sus raíces como la lengua materna, la memoria colectiva (creencias, usos y costumbres) y la valoración de una historia propia (Díez Astete 2011: 37).

Zwar wird von sozio-kultureller Identiät gesprochen, dennoch wird von festen Einheiten ausgegangen, die mit Territorium auf das Engste verbunden werden. Ecoregiones und Etnoregiones bezüglich der TCOs werden definiert.

«Esta correlación de las etnias con sus hábitat así consignados permiterá comprender la parte de la identidad étnica o etnicidad de los pueblos indígenas, que está relativamente consustanciada con el medio ambiente y el uso de los recursos naturales» (Díez Astete 2011: 102)

Von daher wird indigene Identität nicht nur ethnisch konstruiert, sondern räumlich, über ökologische Zonen. Jürgen Riester erwähnt in der Arbeit „En busca de la Loma Santa“ aus dem Jahr 1976 auch „die Movima“. Die Arbeit hat vor allem das Ziel, über die Kultur und soziale Situation der indigenen und marginalisierten Bevölkerung im Tiefland zu informieren oder auf diese überhaupt erst aufmerksam machen, da die indigene Bevölkerung im Tiefland bisher von der bolivianischen Gesellschaft kaum wahrgenommen und als Menschen zweiter Klasse behandelt wurde (Riester 1976: 9- 10). Unter der Überschrift „Los Movimas“ wurden auf knapp zwei Seiten folgende Informationen zusammengetragen:

Die Movima wurden wie die Mojeños durch die Jesuiten in Reduktionen konzentriert und lebten in der Zeit der Jesuiten in den Reduktionen Santa Ana, San Luis, San Borja und Santos Reyes. Zur Zeit der Studie von Riester (1963-1972) sollen circa 10.000 Movima in der Provinz Yacuma gelebt haben, in einem Gebiet, dass sich an den Flüssen Yacuma, Rapulo, Mato und Apere erstreckt. Circa 180 Ansiedlungen soll es hier geben, mit El Perú und Desengaño mit der größten Bevölkerung. Die Gründung zweier weiterer Siedlungen im Norden an den großen Seen soll das Ergebnis einer Migration sein, die auf Konflikte mit Großgrundbesitzern zurückgehen soll. Die Movima sollen bis auf eine Ausnahme ihre traditionelle Kultur aufgegeben haben:

«Con excepción de un pequeño número de movimas, que viven aislados en la región entre el río Rapulo y el río Maniqui, en Monte de Oro, los indígenas han abandonado su cultura tradicional» (Riester 1976: 50).

Dieser Prozess soll mit den Jesuiten begonnen und sich dann in der Zeit der Republik intensiviert haben, als die Movima, wie andere indigenen Gruppen auch, für die Kautschukgewinnung verschleppt wurden. Später wurden sie als Tagelöhner auf den Rinderzuchtfarmen der Bolvianer eingesetzt. Die Provinz Yacuma wird kurz beschrieben, als das Zentrum der Rinderzucht. Die Großgrundbesitzungen sollen bis 17.000 Stück Vieh züchten. Nur wenige Movima soll es dagegen gelungen sein, alleine von der Rinderzucht leben zu können. Insgesamt wird die Situation der Movima als sehr schlecht beschrieben, abhängig von den Großgrundbesitzern oder von Händler und dem lokalen Markt. Die Agrarreform soll die Verarmung und Unterwürfigkeit der indigenen Bevölkerung vorangetrieben haben (Riester 1976: 51).

Territorium und necesidades espaciales

Auf den politischen Druck, den die sozialen Bewegungen seit den 19980er Jahren im Tiefland Boliviens auf die Staatsmacht ausübten, wurde im Jahr 1996 mit einer Neuregelung der Landvergabe reagiert. Einer der zentralen Forderungen der Protestmärsche in den Jahren 1990 und 1996 nach Territorium und Autonomie sollte damit Rechnung getragen werden. Am 18. Okotber verabschiedete das Nationale Institut für Agrarreform (sp. Instituto Nacional de Reforma Agraria, INRA) das Gesetz Nummer 1715. Mit die- sem Gesetz wurde das Konzept des sogenannten „ursprüngliches Gemeinschaftslandes“ (sp. Tierra Comunitaria de Origen) eingeführt, das indigen definierten Gemeinschaften ermöglichen sollte, Land kollektiv und in relativer Autonomie zu bewirtschaften und zu verwalten. Isamel Guzmán Torrico weist darauf hin, dass mit dem Gesetz bewusst auf den Begriff „Territorium“ verzichtet und dieser durch die Bezeichnung „Land“ ersetzt wurde, was als eine eher restriktive Antwort auf die Forderungen der sich indigen definie- renden Akteure zu verstehen ist (Guzmán Torrico et al. 2007: 19). Deren Forderungen nach territorialer Selbstverwaltung sollten auf die kontrollierte Vergabe von Landrechten beschränkt werden, da eine tatsächliche Autonomie der TCOs als Bedrohung für das nationalstaatliche Gefüge betrachtet wurde (Guzmán Torrico et al. 2007: 19; Tierra 2011: 16).

Während die Forderung der indigen definierten Bewegungen nach Territorium auf die Schaffung großer zusammenhängender sowie politisch und wirtschaftlich selbstverwalteter Gebiete abzielte, zeichnet sich das Konzept des „ursprünglichen Gemeinschaftslandes“ bis auf wenige Ausnahmen durch eine kleinparzellige Strategie der Landvergabe aus, die bestehende Besitzverhältnisse kaum infrage stellte und die TCOs nicht mit den Rechten der kommunalen Selbstverwaltung ausstattete, sodass die Interessen der landbesitzenden Klasse weiter dominierend sind.

Mit der neuen Verfassung Boliviens, die im Jahr 2009 in Kraft trat, wurden die TCOs in Territorios Indígenas Originarios Campesinos (TICO) überführt (Asamblea Constituyente 2008: Art. 411), womit den „Nationen und Völkern indígenas originarios campesinos“ noch einmal besondere kollektive Rechte zugesprochen werden. Das nicht nur von indigenen Territorien die Rede ist, geht auf den Einfluss von CONAMAQ (sp. Consejo Nacional de Markas y Ayllus de Qullasuyu) und CSUTCB (Confederación Sindical Única de Trabajadores Campesinos de Bolivia) zurück, die auf eine Erweiterung der Bezeichnung um originario und campesino bestanden (Tierra 2011: 16). Wie sich diese neue Entwicklung lokal niederschlagen wird, ist noch nicht abzusehen. Allerdings bahnen sich Konflikte zwischen indigen und nicht-indigen definierten Akteuren ab. Die CIDOB als Interessenvertretung der indigen definierten Bevölkerung im Tiefland soll beispielhaft darauf bestehen, dass der Übergang von einer TCO in eine TIOC nicht beinhalten dürfe, dass damit die campesinos, colonizadores und comunidades interculturales als gleichberechtigte Teilhaber der TICOs betrachtet werden (Tierra 2011: 16).

Obschon das Ley INRA die Überprüfung der seit der Agrarreform von 1953 bestehenden Besitzverhältnisse auf ihre Rechtmäßigkeit hin, die Einführung eines Landkatasters und die Regulierung der Landtitel (sp. saneamiento) vorsah, wurden von den 107 Millionen Hektar zur Disposition stehenden Landes bis zum Jahr 2006 nur 9% reguliert (INRA 2010: 48).

Die comunidad ist nicht das Bindeglied von Gemeinschaft, eher der Ort der materiellen Produktion, wogegen Santa Ana der Ort der religiösen, rituellen Produktion von Gemeinschaft ist. Wobei verschiedene Akteure hier unterschiedliche Räume belegen, die jeweils eigene Gemeinschaften produzieren, die wiederum keine überzeitliche Gültigkeit haben . Santa Ana wird als das eigene imaginiert. Während Globalisierung in eine andere Richtung verweist.

Ökoheilige - „ecologically noble savage“

Indigene, die als „Ökoheilige, im Einklang mit der Natur leben. Kent Redford (1990) hat dafür den Begriff des „ecologically noble savage“ geprägt. Lokales Wissen wird in diesem Fall als Lösung aller Probleme erachtet. Es soll darum gehen, dieses Wissen zu erhalten und entsprechend vor äußeren Einflüssen und dem Verschwinden’ zu schützen.

Mit dem Wahlsieg der MAS wurde die ungleiche Verteilung des Landes wieder zu einem zentralen politischen Thema. In relativ kurzer Zeit, zwischen 2006 und 2011, konnte die Fläche der titulierten TCOs auch tatsächlich auf 20,7 Millionen Hektar fast verdoppelt werden. Allerdings entfielen 43% der neu titulierten Fläche auf nur vier große TCOs im Tiefland und im Süden von Potosí (Tierra 2011: 15). An der ungleichen Verteilung des Landes und an den bestehenden Besitzverhältnissen haben die ergriffenen Maßnahmen der Regierung unter Evo Morales bisher wenig geändert (vgl. Schaller 2010: 284-285). Zur Zeit sieht es danach aus, dass die Politik von Morales und der MAS eher auf einen Ausgleich zwischen den Interessen der indigen definierten und besitzlosen Bevölkerung und der landbesitzenden Elite bedacht ist, als an einer tatsächlichen Umstrukturierung der Verhältnisse (siehe dazu Regalsky 2010).171

Mit der Einführung des „ursprünglichen Gemeinschaftslandes“ (TCO) ist eine weitrei- chende Festschreibung indigen definierter kollektiver Identität verbunden. TCOs werden in dem Gesetzt INRA von 1996 folgendermaßen definiert:

«Las Tierras Comunitarias de Origen son los espacios geográficos que constituyen el habitat de los pueblos y comunidades indígenas y originarias, a los cuales han tenido tradicionalmente acceso y donde mantienen y desarrollan sus propias formas de organización económica, social y cultural, de modo que aseguran su sobrevivencia y desarrollo. Son inalienables, indivisibles, irreversibles, colectivas, compuestas por comunidades o mancomunidades, inembargables e imprescriptibles;» (INRA 1996: Art. 41)

Die TCOs sind laut Definition also geografische Räume, die den traditionellen Lebensraum indigen definierter Gemeinschaften bilden. Sie sind unveräußerlich, unteilbar, kollektiv, unpfändbar und nicht verschreibbar, wodurch sie den Regeln des Marktes entzogen werden. Um den Rechtstitel „ürsprüngliches Gemeinschaftsland“ für ein Territorium zu erlangen, ist der Nachweis zu erbringen, dass die natürlichen Ressourcen von einer indigen definierten Bevölkerung nach traditionellen Methoden bewirtschaftet werden. Eine wichtige Phase im Prozess der Titulierung, der sich meist über viele Jahre hinzieht, ist dabei die Identifikation von sogenannten „räumlichen Bedürfnissen“ (sp. necesidades espaciales) der indigen definierten Gemeinschaft (vgl. Vries 1998: 17). Die Evaluierung der „räumlichen Bedürfnisse“ dient dabei der Festlegung des Gebietes, welches unter Schutz gestellt werden soll, damit die indigen definierte Gemeinschaft ihre traditionellen Wirtschaftsweisen und kulturellen Praktiken weiter ausüben und sich damit als indige- ne Gemeinschaft reproduzieren kann, oder anders ausgedrückt, die Identifikation der „räumlichen Bedürfnisse“ hat zum Ziel:

«[. . . ] de garantizar al pueblo demandante que se titule la cantidad de tierra de las características naturales y culturales que le permita reproducirse y desarrollarse como pueblo indígena» (Vries 1998: 22).

Die Bewirtschaftung des Landes ist dabei der ausschlaggebende Faktor, der die territoriale Ausdehnung einer TCO bestimmt. Kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft, die extensive Nutzung natürlicher Ressourcen wie Wald und wildwachsender Nahrungsmittel, Fischfang und Jagd gelten im Tiefland als Kennzeichen einer traditionellen Wirtschaftsweise. Die Subcentral Movima brachte zwei Eingaben zur Titulierung von Land als „ursprüngliches Gemeinschaftsland“ bisher auf den Weg. Die erste Eingabe wurde im Jahr 2001 und die zweite im Jahr 2006 evaluiert. Für die Evaluierung sind staatliche Stellen zuständig.172 Die Erhebungen vor Ort wurden in der Regel in Zusammenarbeit mit der Subcentral Mo- vima durchgeführt und stützen sich vorwiegend auf Feldforschungen und Interviews. Der Antrag auf Titulierung (sp. demanda) der TCO Movima I im Jahr 2001 berücksichtigte drei comunidades und die Forderung der TCO Movima II aus dem Jahr 2006 bezog 22 comunidades ein. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein zusammenhängendes Gebiet. Die betroffenen comunidades verteilen sich quer über die Provinz Yacuma und liegen vornehmlich an den Flussläufen. Erfolgreich waren die Anträge nicht, insgesamt wurden bisher nur drei comunidades als „ursprüngliches Gemeinschaftsland“ tituliert, die darüber hinausgehend eine sehr kleine Fläche umfassen und von Großgrundbesitz umgeben und eingeschlossen sind.

Im Falle der TCO Movima I und II wurden die Eingaben zur Titulierung folgendermaßen begründet:

«En la actualidad el Pueblo Indígena Movima ocupa espacios reducidos dentro el área demandada, sobre los que practican las actividades tradicionales como la agricultura, la recolección, la caza y la pesca. Por otra parte, las condiciones desventajosas que caracterizan a este pueblo que señalan una alta vulnerabilidad socioeconómica, se dan por el acceso limitado a aquellas áreas donde existen pastos naturales aptos para la actividad pecuaria, los cuales se encuentran ocupados por los puestos ganaderos de las estancias asentadas en la zona; razón por la que es necesario considerar un espacio territorial que viabilice un desarollo productivo, social y cultural de este pueblo indígena.» (MACPIO und VAIO 2001: 1)

«El objetivo del Informe de Necesidades Espaciales es establecer el espacio vital para garantizar al pueblo indígena demandante su reproducción económica, social, cultural y política; bajo sistemas der organización asumidos y legitimados por sus prácticas culturales, las cuales regulan el acceso y aprovechamiento de los recursos naturales para la consolidación de la seguridad jurídica de sus espacios territoriales.» (MDRAyMA 2006: 1)

Mit der Titulierung von Land als TCO soll es dem „indigenen Volk Movima“ ermöglicht werden, so die Begründung, als traditionell verstandene ökonomische, soziale und kulturelle Praktiken aufrechtzuerhalten, deren Reproduktion durch einen limitierten Zugang zu Land bedroht sind. Ausführlich werden die historische Entwicklung der Region, Vermutungen über den vorspanischen Siedlungsraum der Movima, der Umgang mit natürlichen Ressourcen, Landwirtschaft und Ernte, die politischen, demographischen und sozialen Strukturen, das Wissen um Medizinalpflanzen, Kunsthandwerk und andere kulturelle Aspekte und Praktiken sowie „indigene Wissensbestände“ in den Evaluierun- gen zur Titulierung vorgestellt. Die traditionelle Bewirtschaftung des Landes sowie der traditionelle Umgang mit den natürlichen Ressourcen nehmen dabei den größten Raum ein. Betont werden die überlieferten Wissensbestände, die als Zeichen für „Indigen-Sein“ gelten. So wird im Falle der TCOs Movima zum einen auf den schädlichen Einfluss der Missionszeit hingewiesen, unter dem das überlieferte Glaubenssystem stark gelitten haben soll (MACPIO und VAIO 2001: 17), und zum anderen werden Wissensbestände herausgearbeitet, die als Kennzeichen für „Indigen-Sein“ gelten. Als Synonym für den durchgreifenden Einfluss der Missionszeit wird auf das Cabildo Indigenal Movima verwie- sen (MACPIO und VAIO 2001: 14; MDRAyMA 2006: 13) und auf den Festtagskalender, der neben einigen zivilen Feierlichkeiten in erster Linie dem katholischen Heiligenkalender folg. Fiskalland spielt in der Region dagegen kaum eine Rolle. Insgesamt berücksichtigt die Regulierung von Land (sp. saneamiento) in dem Gebiet, damit ist vor allem die Region Iténez-Mamoré gemeint, in der die TCOs Canichana, Itonama, Moré, Sirionó, Baure, Cayubaba, Joaquiniano und eben Movima zur Titulierung beantragt wurden, stärker die Ansprüche Dritter, als die der TCOs.

«No se puede negar que el sistema de creencias ha sido vulnerable por la influencia religiosa recibida, lo tradicional como tal se ha mimetizado y transformado dando paso a manifestaciones con significativa carga se sincretismo, en este sentido actualmente las fiestas consideran el calendario católico religioso: danza de los macheteros, jocheo de toros y palo encebao.» (MACPIO und VAIO 2001: 18)

Das Cabildo wird aber auch als die zentrale Instanz der indigen definierten Gemeinschaft auf kultureller Ebene beschrieben, die wesentlich das kulturelle Gedächtnis repräsentiert. So soll unter den Movima die Überzeugung vorherrschen, dass diese Institution die Essenz der überlieferten Bräuche und das Wissen der Vorfahren (sp. antepasados) verkörpert (MACPIO und VAIO 2001: 14). Außerdem wird die zentrale Rolle des Cabildo auf dem Gebiet der religiös motivierten Festtagskultur erwähnt (MDRAyMA 2006: 15-16). Gleichzeitig wird auf ein mit christlichen Elementen überlagertes oder verloren ge- gangenes „indigenes Wissenssystem“ verwiesen. So wird im Rahmen der Evaluierung aus dem Jahr 2001 betont, dass für die Movima zwar keine heiligen Räume oder Orte (sp. espacios sagrados) ausgemacht werden konnten, dass aber davon ausgegangen wer- den muss, dass vor Ankunft der Spanier der Naturglaube, im Sinne einer Verbindung zwischen dem Heiligen und der umgebenden Umwelt, existierte. Begründet wird diese Argumentation, indem wage Vorstellungen von indigenen Lebens in vorspanischer Zeit universalisiert werden. Alle Völker im Gran Moxos, so die Vorstellung, lebten eng mit der Natur zusammen, so dass der Rückschluss gezogen wird, dass auch die Movima einem Naturglauben anhingen:

«Sabemos que los Movimas forman parte del Gran Moxos, entonces prodríamos señalar que lo sagrado ha tenido una connotación y estrecha relación al hábitat que lo rodea, en este sentido podemos relacionarla con la geografía cultural [. . . ].» (MACPIO und VAIO 2001: 17)

Außerdem soll bei den Movima die Vorstellung von einem bösen Geist (sp. espíritu maligno) verbreitet gewesen sein, was wiederum bestätigen soll, dass ein Dualismus zwischen positiv und negativ und gut und böse et cetera bei allen Völkern vorkommt (MACPIO und VAIO 2001: 16-17). Zur Bestätigung der Aussagen wird auf historische Berichte von Alfred Métraux und Alcides d’Orbigny über die „Moxos-Indianer“ verwiesen. Heute noch sollen sich die Movima den Glauben an übernatürliche Wesen, wie den Besitzern (sp. dueños) des Waldes, der Tiere und an die Götter (sp. dioses) des Wassers, erhalten haben, obschon einschränkend immer wieder darauf hingewiesen wird, dass das Glaubenssystem unter dem religiösen Einfluss stark gelitten hat (MACPIO und VAIO 2001: 17). Zur Untermauerung dieser Aussage wird ein häufig zitiertes Werk zur Beschreibung indigen definierter Völker im Tiefland Bolviens aus dem Jahr 1998 angeführt:

«También se sabe que los movima tienen conocimientos y prácticas de magia y que enlazan sus saberes sobre el manejo de la selva en sus distintos ámbitos y recursos, con el mundo sobrenatural. Pero no se tiene una verificación antropológica o etnográfica de esa realidad.» (Díez Astete und Murillo 1998: 179)

Obschon keine für „die Movima“ als heilig betrachteten Orte innerhalb der zur Titulation stehenden Gebiete ausgemacht werden konnten, soll eine enge Mensch-Umwelt-Beziehung charakteristisch für „die Movima“ sein:

«Si bien dentro del área demandada los beneficarios no identifican espacios sagrados en el sentido de misterio, poder, paradigma, encuentro con lo pasado, al cual acceden con ritos y especialistas, debemos mencionar que el Movima considera fundamental el equilibrio en la relación hombre naturaleza, en esta relación se identifican espacios relacionados a los cerros, lomas, quebradas, ríos y lugares más específicos como áreas del monte.» (MACPIO und VAIO 2001: 93)

Auch in der zweiten Evaluierung wird betont, dass der Umgang mit der natürlichen Umwelt von Vorstellungen eines Naturglaubens geprägt ist, der sich unter anderem darin äußern soll, dass die übernatürlichen Wesen in Wäldern, Flüssen und Seen um Erlaubnis gebeten werden müssen, bevor es zu einem störenden Eingriff durch den Menschen kommt, sei es bei der Jagd, dem Fischfang oder anderer Aktivitäten (MDRAyMA 2006: 65). Die Verbindung zwischen Mensch-Natur-Tier zeige sich so bis heute in den Praktiken des alltäglichen Lebens. Die Jagd wird als eine besonders wichtige Tätigkeit bezüglich der Identitätsbildung „der Movima“ beschrieben, da diese Praxis aus frühesten Zeiten stammen und mit Zeremonien belegt sein soll:

«La actividad de la caza tiene una gran importancia en la identidad de los movima, pues se remonta desde los primeros tiempos, guarda algunas ceremonias que debe realizarse para obtener el alimento.»(MDRAyMA 2006: 65)

So soll die Praxis noch heute verbreitet sein, dass der Jäger vor der Jagd den Herrn der Tiere um Erlaubnis bittet und ihm als Gabe eine Zigarette anbietet (MACPIO und VAIO 2001: 17; MDRAyMA 2006: 65). Es werden im Folgenden einige weitere Vorstellungen aufgeführt, die bei den Movima verbreitet sein sollen und als Beleg einer engen Mensch-Umwelt-Beziehung herangezogen werden. Als Beispiele werden Natur- und Tierbeobachtungen angeführt, die als Indikatoren für zukünftige Ereignisse dienen sollen. Beispielhaft soll die Vorstellung verbreitet sein, dass wenn der Hahn am Vormittags kräht, es schlechtes Wetter geben soll oder die Stimme eines bestimmten Vogels soll starken Wind vorhersagen (MACPIO und VAIO 2001: 18).

In den bisher genannten Punkten überschneiden sich die beiden Evaluierungen stark, allerdings geht die Erhebung aus dem Jahr 2006 bei der Darstellung der Mensch-Umwelt- Beziehung wesentlich detailreicher vor als die Evaluierung aus dem Jahr 2001. Einerseits wird festgestellt, dass kulturelle Praktiken bezüglich der ökonomischen Reproduktion nicht verbreitet sind und andererseits wird von einer reichen kulturellen Erbmasse (sp. rico acervo cultural) gesprochen, die im Umgang mit den natürlichen Ressourcen eine wichtige Rolle spielen soll, auch wenn dieses Wissen nur unter der älteren Generation verbreitet sein soll:

«Aunque las prácticas culturales asociadas al sistema productivo no son diversas en las comunidades de Movima II, sin embargo, entre los habitantes esta presente un rico acervo cultural de cual tienen mayor conocimiento los mayores, mientras que los jóvenes conocen muy poco o deconocen.» (MDRAyMA 2006: 65)

Als heilige Orte werden in diesem Fall Wälder, Flüsse und Lagunen ausgemacht, in denen übernatürliche Wesen oder Geister in den Vorstellungen der Menschen leben sollen (MDRAyMA 2006: 65). Vor allem die Jagd und der Fischfang werden mit den Vorstel- lungen von übernatürlichen Wesen und kulturellen Praktiken dabei in eine Beziehung gesetzt. So soll das Wissen verbreitet sein, dass beim Fischfang den Fischen Chivé aus einer Tutuma angeboten werden muss oder wie erwähnt soll bei der Jagd der Herr der Wälder um Erlaubnis gebeten und eine Zigarre geraucht werden. Es folgen weitere Darstellungen bestimmter kultureller Praktiken, die mit der Produktionsweise in Verbindung gebracht werden und eine enge Mensch-Umwelt-Beziehung sowie das Vorhandensein überlieferter kultureller Wissensbestände anzeigen sollen (MDRAyMA 2006: 66).

Zu den alten Wissensbeständen wird in beiden Erhebungen außerdem der Umgang mit Pflanzen zur Heilung bestimmter Krankheiten gezählt. So sollen sich traditionelle Heiler (sp. curanderos tradicionales) eine große Kenntnis in der Anwendung medizinaler Pflanzen erhalten haben (MACPIO und VAIO 2001: 18), der Umgang mit Heilpflanzen soll aber auch allgemein weit verbreitet sein (MDRAyMA 2006: 68). Ausführlich wird das lokale Wissen bezüglich der natürlichen Ressourcen vorgestellt, also lokale Typologien von Pflanzen, Böden, Bäumen und Tieren sowie deren Nutzung. Zu den spezifischen kulturel- len Praktiken und Wissensbeständen wird zudem noch das Kunsthandwerk gezählt. Während in der Erhebung aus dem Jahr 2001 das Kunsthandwerk allerdings als eine kaum noch praktizierte und unbedeutende wirtschaftliche Einnahmequelle beschrieben ist (MACPIO und VAIO 2001: 72), wird es im Jahr 2006 als eine alte überlieferte Aktivität dargestellt, der eine hohe Wertschätzung entgegen gebracht werden soll:

«La artesania se constituye como una actividad ancestral, que continua siendo practicada tanto por el hombre como por la mujer [. . . ].» «Realizando una apreciación general podemos mencionar que entre muchas de sus tradiciones y formas de vida que fueron casi absorbidas por la presencia de los jesuitas en estos lugares, la tradición de elaboración de sus principales utensilos continúa»(MDRAyMA 2006: 58)

Es werden einige Bezeichnungen dieser übernatürlichen Wesen angeführt. In der Evaluierung von 2001 wird der Herr der Tiere bolaun benannt MACPIO und VAIO 2001: 17. 2006 wird balau als Bezeichnung für den Herrn der Gewässer erwähnt, sowie caycho für den Herrn der wilden Tiere und jichi für den Herrn der Wälder MDRAyMA 2006: 65. An anderer Stelle der gleichen Untersuchung wird jichi außerdem als der Beschützer der Gewässer aufgeführt MDRAyMA 2006: und balau als Herr der Gewässer MDRAyMA 2006: 65 und kaycho als Herrn der Wälder(MDRAyMA 2006: 66).

Als die wichtigsten Bereiche der wirtschaftlichen Produktion der Movima werden in konsequenter Weiterführung der herausgestellten Mensch-Umwelt-Beziehung die exten- sive Landwirtschaft, die Jagd, der Fischfang sowie das Sammeln natürlicher Produkte (sp. recolección) genannt, die der Reproduktion auf Basis der Familie dienen sollen (MACPIO und VAIO 2001: 30-31; MDRAyMA 2006: 62). Der Fischfang soll dabei der Gemeinschaftsbildung dienen (MACPIO und VAIO 2001: 71) und ebenso mit alten Glau- bensvorstellungen verbunden sein, wie die recolección die Verbindung zwischen Mensch und Natur herstellen soll, die wiederum einen Teil der Identität der indigenen Movima verkörpern soll (MDRAyMA 2006: 55-56). Die Einheit der Familie als fundamentale Basis der Reproduktion wird besonders deutlich herausgestellt, wobei auch hier eine universalisierte Vorstellung von „Indigen-Sein“ zugrunde gelegt wird:

«Es importante destacar que en los sistemas de producción indígenas, el objetivo fundamental es el de garantizar la supervivencia y reproducción de la familia, aspecto que la diferencia de las empresas agropecuarias comerciales, cuyo objetivo es la maximización de la rentabilidad y la ganancia.» (MACPIO und VAIO 2001: 64)

Während die kommerzielle Wirtschaft also durch Gewinnmaximierung geprägt ist, soll die indigene Produktion sich durch das Bestreben auszeichnen, das Leben und die Repro- duktion der Familie zu sichern. Die Prinzipien der Redistribution und der Reziprozität sollen demnach die indigene Wirtschaft prägen und die indigene Identität bestätigen und festigen:

«Se debe destacar como rasgo distintivo de la economía indígena Movima, la re- distribución de la producción generada en la economía familiar, expresada a través de relaciones de reciprocidad, en el que cada productor puede entregar parte de su producción para obtener otras, en otro tiempo, de este modo afianzan la identidad Movima.»(MACPIO und VAIO 2001: 62-63)

Zusammenfassend betrachtet, richtet sich die Begründung der Notwendigkeit zur Etablie- rung der TCOs primär nach dem Kriterium, ob damit die sozio-kulturelle Reproduktion einer traditionell gefassten indigenen Gemeinschaft und Produktionsweise erhalten werden kann. Der sozio-kulturelle räumliche Bedarf wird dabei aus einer spezifischen Mensch- Land-Umwelt Beziehung abgeleitet, die sich in bestimmten kulturellen Praktiken und Wissenssystemen äußern und die kulturelle Identität verkörpern soll:

«Superficie Socio Cultural, comprende espacios que de manera tradicional ocupan los pueblos indígenas, donde se pone de manifiesto la relación hombre-tierra-naturaleza que mantienen los indígenas con su medio, y en los que realizan actividades de tipo reproductivo (caza, pesca y recolección) realizando un uso integral del espacio. Es la superficie identificada para fortalecer la identidad cultural del pueblo indígena demandante.» (MACPIO und VAIO 2001: 88)

Die Verknüpfung ethnisch markierter Identitätszuschreibungen mit territorialen Rech- ten ist aus mehreren Gründen als äußerst problematisch anzusehen. Es findet eine Homogenisierung und Festschreibung kollektiver Identität auf Basis einiger weniger, scheinbar das Wesen einer Gruppe dominierender kultureller Ausprägungen statt, um damit Ansprüche auf und die Rückforderung von Land und Territorium zu begründen. Die Abgrenzung und Eingrenzung kollektiver Identität findet dabei nicht nur aufgrund ethnisch begründeter kultureller Marker statt, vielmehr werden die so geschaffenen kollektiven Identitäten räumlich verankert und festgeschrieben. Ein Lebensraum, eine Lebensweise, geteilte Werte und Normen ergeben eine in sich geschlossene und kohärente Kultur. Das klassische Herdersche Kugelmodell von Kulturen liegt dem Konzept zugrunde. Dieses Kugel- oder Containermodell fußt in diesem Fall auf einer sehr wagen Vorstel- lung von „Indigen-Sein“, das in einer direkten Übersetzung von einem angenommenen präkolonialen Zustand in die heutige Zeit übertragen wird. „Indigen-Sein“ ist in dieser Vorstellung von einer engen Mensch-Umwelt-Beziehung geprägt, aus der sich alle weiteren Markierungen ableiten lassen, wie kulturelle Praktiken und Glaubensvorstellungen, aber auch Produktionsweisen, wie Subsistenzwirtschaft auf Basis der Familie oder Jagd, Fischfang und recolección.

Eine der dominantesten Repräsentationen „indigenen Seins“ seit der Kolonialzeit überhaupt wird so reaktiviert und zum Motor gegenwärtiger und zukünftiger Bestrebungen einer indigen definierten Gemeinschaft erklärt. Es handelt sich um das Bild des „guten Indianers“, der von der Natur und im Einklang mit der Natur lebt, die natürlichen Ressourcen und überlieferten Wissenssysteme zu nutzen und zu schützen weiß und dessen gesellschaftliches System auf Reziprozität und Kommunita- rismus beruht. Die TCOs, zumindest im Tiefland Boliviens, werden so zu imaginierten Orten, die ein durch und durch idealisiertes Bild von „Indigen-Sein“ repräsentieren. Das Leben auf dem Land und in den TCOs sieht häufig anders aus, zumindest in den von der Autorin besuchten TCOs Movima (Cachuelita/Montes del Oro und Carmen del Mato) und weiteren comunidades und ist, mit graduellen Abstufungen, vor allem durch schwerste körperliche Arbeit, schlechte schulische Ausbildung, fehlendem Entwicklungspotential, Landflucht, fehlender Infrastruktur und Armut geprägt. Im Falle der TCOs Movima hat die per Gesetzt festgelegte Verknüpfung einer traditionellen Wirtschaftsweise mit territorialen Ansprüchen weitreichende Konsequenzen. Wenn „Indigen-Sein“ die Vor- aussetzung für territoriale Selbstbestimmung ist, das „Indigen-Sein“ aber gleichzeitig mit einer traditionellen Wirtschaftsweise und einem aus möglichst präkolonialer Zeit stammenden Wissenssystemen und kulturellen Praktiken begründet wird, ist wirt- schaftliche Entwicklung und gesellschaftlicher Wandel per Definition nur innerhalb stark reglementierter Grenzen möglich.

Diese Grenzen werden dabei einerseits territorial- juristisch und andererseits symbolisch über eine Definition von „Indigen-Sein“ festgelegt. Auch wenn die Regulierung (sp. saneamiento) der Landverteilung und die Anerkennung territorialer Rechte über die Schaffung von TCOs sicher ein Erfolg für eine bis in die 1980er Jahre nahezu vollkommen politisch, sozial und ökonomisch marginalisierte und besitzlose Bevölkerung im Tiefland darstellt, führt gerade diese territoriale und symbo- lische Festschreibung einer kollektiven Identität zu einer kleinparzelligen Strategie der Landumverteilung, mit der bis auf wenige Ausnahmen kaum lebensfähige Einheiten bisher geschaffen wurden. Auf Subsistenzwirtschaft und auf eine nachhaltige Bewirtschaftung der nachwachsenden Ressourcen festgelegt, haben die TCOs im ökonomischen Wettbewerb gegenüber privatwirtschaftlichen Produktionsstätten das Nachsehen.

Da es sich bei den TCOs um Kollektiveigentum handelt, können sie außerdem nicht gleichberechtigt am Markt teilnehmen. Mit der Vergabe kommunaler Landtitel werden alle Rechte an Privat- und Familienbesitz an die Kommune abgetreten, sodass alleine staatliche Kredite die Modernisierung der Produktion garantieren könnten (vgl. Schaller 2010: 284, 291). Die Kulturalisierung und Ethnisierung der Agrarpolitik schafft insofern neue Gegensätze, zu den bereits bestehenden. Neben Groß- versus Kleinstbesitz, Tiefland versus Hochland ist der Gegensatz Familienbesitz versus Kollektivbesitz und campesino versus indígena getre- ten (vgl. Schaller 2010: 284). Bezüglich der indigen definierten Bevölkerung des Tieflandes wird außerdem der aus der Kolonialzeit stammende Dualismus Kultur versus Natur reak- tiviert, indem „Indigen-Sein“ funktional an eine enge Mensch-Umwelt-Beziehung geknüpft wird. Aus dieser Verknüpfung ergeben sich weitere Dualismen, wie urban und modern versus ländlich und rückständig. Die Praxis der Landregulierung (sp. saneamiento) im Tiefland Boliviens hat einen erheblichen Anteil an der Zunahme ethnisch markierter Identitätsfestschreibungen, indem eine Einheit von kollektiver Identität und Territorium konstruiert wird (vgl. Molina Argandoña et al. 2008a: 59).

Die Titulierung von Land und die Realität

Im Falle der Begründung für die Schaffung der TCOs Movima muss zudem ange- zweifelt werden, dass Jagd, Fischfang, recolección, die arbeitsintensive und ertragarme Landwirtschaft auf meist schlechten Böden an den Flussläufen sowie das Kunsthandwerk tatsächlich das frei gewählte Produktionssystem der ländlichen Dorfgemeinschaften dar- stellt, nur weil diese als indigen definiert werden. Dabei ist es unerheblich, ob die ethnische Identitätsfestschreibung eine selbst gewählte oder fremd bestimmte ist, oder besser gesagt, sie ist nie eine rein selbst gewählte oder eine rein fremd bestimmte. Die Logik, dass spezifische traditionelle Produktionsweisen auf „Indigen-Sein“ schließen lassen und im Um- kehrschluss, dass „Indigen-Sein“ sich in traditionellen Formen des Lebens und Arbeitens ausdrückt, kann nur unter Ausblendung des historischen und kulturellen Wandels sowie kolonialer Herrschafts- und bestehender Besitzverhältnisse funktionieren.

Das Vorgehen der staatlichen Stellen bei der Planung der TCOs wurde so zum Teil deutlich kritisiert, da die auf den Erhebungen basierenden Empfehlungen für die räumliche Ausdehnung der TCOs zu wenig Spielraum für zukünftige Entwicklungen und wirtschaftlichen Wandel zulassen (siehe Vries 1998: 24). So wurden im Falle der TCOs Movima sehr kleine Gebiete tituliert, die weiterhin umgeben sind von Großgrundbesitz und den Bewohner/-innen kaum Potential der wirtschaftlichen Entwicklung bieten. Dieser Befund trifft auch auf andere Regionen im Tiefland zu. Auch in der Provinz Mojos wurden den titulierten comunidades in der Regel sehr kleine Flächen Land zugesprochen, die nur ein geringes Bevölkerungswachstum zulassen, vor allem dann, wenn gleichzeitig eine nachhaltige Bewirtschaftung des Bodens und der nachwachsenden Rohstoffe gefordert wird. Nicht abzusehen ist die Entwicklung der comunidades, falls es zu einem Bevölkerungsüberschuss kommen sollte und die natürlichen Kapazitäten der comunidades nicht ausreichen. Das Vorgehen der staatlichen Stellen bei der Planung der TCOs wurde so zum Teil deutlich kritisiert, da die auf den Erhebungen basierenden Empfehlungen für die räumliche Ausdehnung der TCOs zu wenig Spielraum für zukünftige Entwicklungen und wirtschaftlichen Wandel zulassen ( Vries 1998: 24).

Das Tiefland Boliviens ist in mehreren Wellen erobert und kolonialisiert worden, zuletzt, und was die Verteilung des Landes betrifft, in einem bis heute prägenden Ausmaß, im Zuge der Agrarreform von 1953. Die heutige Nutzung und Verteilung des Landes ist somit keine frei gewählte, sondern Ausdruck von Vertreibung und Marginalisierung der autochthonen Bevölkerung in einer nicht weit zurückliegenden Vergangenheit. Erst die abschließende Etablierung von Großgrundbesitz nach den 1950er Jahren und die damit einhergehende Privatisierung des Landes hat dazu geführt, dass fast ausschließlich an den Flussläufen Dörfer und Ansiedlungen errichtet werden konnten, da die Pampa nicht mehr frei zugänglich war. Die Verdrängung der autochthonen Bevölkerung aus dem Zentrum der ehemaligen Missionen war ein langer Prozess, der im Beni bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Zuzug kreolisch-mestizischer Händler begann und mit dem Kautschuk-Boom um 1900 an Dynamik gewann. Bereits zu dieser Zeit setzte eine Migration der autochthonen Bevölkerung in die marginalen Zonen der Zentren und länd- lichen Gebiete ein und neue comunidades oder kleinere Ansiedlungen in abgelegeneren Gebiete wurden gegründet (Molina Argandoña und Soleto Selum 2002: 41-42). Aber erst in den 1940er Jahren begann die kommerzielle und exportorientierte Rinderzucht im Beni, da zum einen die Nachfrage nach Fleisch in den urbanen Zentren im Hochland und zur Versorgung der Minenarbeiter stark gestiegen war und zum anderen der Luftverkehr neue Transportmöglichkeiten schuf (Molina Argandoña et al. 2008a: 87). Die Agrarreform von 1953 beschleunigte dieser Entwicklung noch einmal nachhaltig. Die Privatisierung der Ländereien und Etablierung von Großgrundbesitz verlief dabei vom Zentrum der ehemaligen Missionen in Richtung der weiter abgelegenen ländlichen Gebiete. Zuerst war der Zugang zu den nahe der ehemaligen Missionen liegenden Ländereien für die ansässige Bevölkerung durch die Privatisierung versperrt. Gleichzeitig siedelte sich die neue besitzende Elite, vornehmlich aus Santa Cruz stammend, in den Zentren der ehe- maligen Missionsdörfer an und die ansässige Bevölkerung wurde aus der Stadtmitte an die Ränder des Zentrums verdrängt. Da der Zugang zu den nahegelegenen Ländereien nun versperrt war, setzte außerdem eine größere Landflucht ein. Heute ist die Rinderzucht der wichtigste Wirtschaftsfaktor im Departement Beni und nahezu das gesamte fruchtbare Weideland befindet sich in Privatbesitz (Guzmán Torrico 2004: 91,94-95). Mit voranschreitender Privatisierung des Landes und dem Anstieg der Produktivität der Rinderzucht stieg der Druck auf die ländliche Bevölkerung weiter an, die ihre Ansiedlungen und Weideland zunehmend von Privatbesitz eingegrenzt und in der Ausdehnung beschnitten vorfanden, so dass eine erneute Verdrängung der autochthonen Bevölkerung an die Ufer der Flüsse oder in abgelegene Waldregionen einsetzte (Guzmán Torrico 2004: 23). Mit der Missionszeit wurde die Rinderzucht im Mojos eingeführt. Zahlreiche lokale Familien hatten diese beibehalten und verfügten zum Teil noch bis in die 1960er Jahre über Viehherden, die einige hundert Stück Vieh betragen konnten.

Dem Druck der finanziell gut ausgestatteten und vom Staat durch illegale Landvergabepraktiken unterstützen kreolisch-mestizischen Zuwanderer hatten die viehbesitzenden lokalen Fa- milien jedoch wenig entgegenzusetzen. Zahlreiche Familiengeschichten gleichen sich in diesem Punkt. Es wird geschildert, dass die Großväter oder Väter in den 1950er und 1960er Jahren das Vieh und die eigene estancia für wenig Geld verkauften oder aus Unwissenheit aufgaben.182 Diese Entwicklung ist für viele Regionen im Departement Beni typisch, beispielhaft auch für die Provinz Mojos. Nicht selten wurden die estancias noch von den Großeltern bewirtschaftet, auf denen deren Enkel heute als Tagelöhner für Großgrundbesitzer arbeiten, so Ismael Guzmán Torrico:

«No es rareza encontrar en la zona, indígenas que actualmente trabajan como peones en la estancia que en algún momento anterior, fue la posesión de su abuelo y en la que, en muchos casos, nacieron en absoluta libertad laboral.» (Guzmán Torrico 2004: 25)

In einer Studie zur lokalen Herausbildung der Gemeinden von San Ignacio de Mojos und San Joaquín beschreiben Wilder Molina Argandoña und Wigberto Soleto Selum eine ähnliche Entwicklung der Verdrängung der autochthonen Bevölkerung aus den Zentren der ehemaligen Missionen, die über einen längeren historischen Prozess verlief und wie die comunidades auf diese Weise aus dem urbanen Kontext erst hervorgegangen sind (Molina Argandoña und Soleto Selum 2002: 55). Der soziale und kulturelle Bezug zum jeweiligen urbanen Zentrum, also den ehemaligen Missionsdörfern, wurde dabei jedoch nie vollkommen aufgegeben (Molina Argandoña und Soleto Selum 2002: 61). Im Rahmen dieser Arbeit konnten keine Katastereinträge aus der Zeit recherchiert werden, um genauere Angaben über Größe des Landbesitzes und des Viehbestandes machen zu können. Öffentliche Verlautbarungen zeigen jedoch, dass auch als indigen definierte Personen ihr Land titulieren ließen und Rinderzucht betrieben haben. Beispielhaft seien drei Kauf- und Titulierungsgesuche von Länderein genannt, die in der Zeitung El Eco del Beni, die in Trinidad von 1911 bis 1935 erschien, veröffentlicht wurden. Alle Titulierungsgesuche mussten mehrfach öffentlich bekannt gegeben werden, bevor dem Antrag entsprochen werden konnte. In den Verlautbarungen wird zwischen indigenen und nicht-indigenen Personen unterschieden. Insgesamt ist die Anzahl der als indigen bezeichneten Personen, die ein Titulierungsgesuch stellten, wesentlich geringer als die Anträge von nicht-indigen bezeichneten Personen. Am 6. Juni 1913 wurde der Antrag zur Titulierung von Weideland für einen gewissen Carmelo Malale im El Eco del Beni veröffentlicht. Ein Notar gibt hier stellvertretend für den «indígena Carmelo Malale» bekannt, dass dieser beantragt den Ort mit Namen „El Progreso“ als Privateigentum zu titulieren. Die Besitzung soll 3750 Hektar Weideland in der Nähe von Santa Ana del Yacuma umfassen (El Eco del Beni 1913c: 7). Am 4. September 1913 wird der Kauf von „Portachuelo“ in der Nähe von Santa Ana und das Titulierungsgesuch durch den „indigenen Pedro Mercado“ für dieses Land bekannt gegeben. Die Besitzung soll 2500 Hektar betragen und der Rinderzucht dienen (El Eco del Beni 1913a: 11). Am 23. Oktober 1913 wird das Titulierungsgesuch für den Ort „Santo Rosario“ des „indigenen“ Antonio Cholima veröffentlicht, ebenfalls in der Nähe von Santa Ana gelegen. Das Land hat eine Ausdehnung von 1250 Hektar und grenzt an den Besitz von Francisco Guasinave an (El Eco delBeni 1913b: 10). Guasinave ist ebenfalls einer der typischer Nachnamen der autochthonen Bevölkerung. Bemerkenswert ist die Größe der zur Titulierung beantragten Gebiete mit gut 1000 bis über 3000 Hektar Land.

Neben dem Verkauf des Viehs wurde der Viehbestand einzelner Familien zum Teil zusätzlich durch Seuchen erheblich reduziert, vor allem durch die Mal de Caderas und den Milzbrand.

Da nur die aller wenigsten Besitzungen rechtmäßig tituliert waren, da die Besitzer häufig weder über die finanziellen Mittel verfügten noch mit den juristischen und bürokratischen Vorgänge einer offiziellen Landerwerbung vertraut waren und es sich zu dieser Zeit um schlecht erschlossene und verwaltungstechnisch abgelegene Regionen des Landes handelte, gaben sie mit dem Verkauf des Viehs ebenfalls das Land auf, das sie bewirtschafteten. Auch unter den lokalen Familien gab es ein soziales Gefälle, einige besaßen große, andere nur kleine Viehbestände. Neben der Viehwirtschaft wurde immer auch Landwirtschaft betrieben, zur Selbstversorgung aber auch zum Verkauf der Produkte auf den lokalen Märkten, vor allem in Santa Ana. Mit der Aufgabe der estancias lösten sich häufig ganze Familienverbände auf, die einen zogen mit ihrer Familie dauerhaft nach Santa Ana, die anderen gründeten wie im Falle von Cachuelita eine neue comunidad. Mit der Privatisierung des Landes war eine Rinderzucht für diese Familien kaum mehr möglich, maximal noch im Rahmen weniger Stück Vieh, da kein Zugang mehr zu dem fruchtbaren Weideland und den Waldinseln, die vor Hochwasser schützen, gegeben war. Die comunidad Cachuelita, die im Rahmen des ersten Forderung nach Titulierung einer TCO Movima evaluiert und auch tituliert wurde, ist nun ein gutes Beispiel dafür, dass das heutige Produktionssystem, das in den Evaluierungen als Ausdruck einer ursprünglich indigenen Lebensweise konstruiert wird, eher ein Spiegel der Verarmung der Bewohner/-innen im Zuge der Etablierung von Großgrundbesitz nach der Agrarreform von 1953 ist.184 Die comunidad wurde in den 1960er Jahren gegründet, nachdem die Nachkommen eines Andrés Amblo, der die estancia mit Namen San Germán in der Nähe von El Perú bewirtschaftet hatte und als ausgesprochen wohlhabend beschrieben wird, das Land verlassen und mit einem Rest des ursprünglichen Viehbestandes sich ein noch nicht in Privatbesitz befindliches neues Gebiet erschließen mussten und Cachuelita gründeten. Auch das restliche Vieh wurde in den folgenden Jahren verkauft. Die wenigen Bewohner der comunidad leben heute in erster Linie von der arbeitsintensiven und ertragsarmen Landwirtschaft.

Regionalismus und Indigenismus

Die Geschichte von „oben“ soll auf einen lokalen Stadtgeschichtsschreiber eingehen, gegen den sich JGM (Movima) explizit ausspricht, da dieser nicht die „wahre“ Geschichte erzählen soll, sondern nur die Geschichte der carayana, der Weißen. Darüber hinaus soll eben die „in Stein gemeißelte Geschichte“ berücksichtigt werden, Statuen, die von dem „wilden“ Indianer erzählen, der durch einen europäischen Missionar „zivilisiert“ wurde und seitdem Heiligenfiguren anbetet, die ebenfalls europäische Gesichtszüge tragen und von Statuen, die die Eroberung des Landes durch „heldenhafte Tat“ der Viehzüchter künden. Außerdem soll die Vergabe von Straßennamen thematisiert werden, die bis auf eine einzige Ausnahme ausschließlich die Namen der „weißen“, kreolischen Bevölkerung tragen. Außerdem muss kurz angesprochen werden, dass auch die „Weißen“ sich als Movima bezeichnen.

In der Präsenz der Jesuiten im Mojos und damit der Gründung und „Zivilisierung“ der Region durch Missionare meist europäischer Herkunft ist vielleicht eine Ursache zu sehen, dass sich auch die nicht-indigene Bevölkerung in den ehemaligen Missionen mit den Namen der indigenen Bevölkerungsgruppen identifizieren. Die Geschichte aus der Mitte soll in erster Linie aus den Artikeln einer Zeitschrift erarbeitet werden, deren Entstehen im Jahr 1987 mit der öffentlichen Wahrnehmung indigener Forderungen und indigener Bewegungen im Tiefland von Bolivien einhergeht. Die lokale Intelligenz ist hier präsent, es ist der gutgemeinte Blick auf die indigene Bevölkerung durch eine nicht-indigene Autorenschaft. Die hier entwickelte Darstellung der indigenen Gruppen und ihrer Vergangenheit ist wichtig, da sich wesentliche Bestandteile eines indigenen Selbstverständnisses nicht nur aus einem Widerstand zu der Geschichte von oben erklären lassen, sondern ebenso Motive einer nicht-indigenen aber „gut meinenden“ Darstellung ihrer Vergangeinheit in die eigene Erinnerung inkorporiert haben.

Fortsetzung folgt

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Datenschutz und YouTube "Opt-in"

Wir setzen keine Cookies, wir erheben keine Daten, auch keine Statistiken, reiner Hypertext, so wie es sein soll. YouTube ist eingebunden nach DSGVO ohne Cookie, ohne Datenübermittlung, solange sie den orangenen Playbutton sehen, ist dies nur ein Vorabbild des Videos, und es besteht überhaupt keine Verbindung zu Youtube, wir laden lediglich dieses Vorabbild vom sog. Thumbnailsserver. Wenn Sie zu YouTube wechseln, oder wenn sie in ihren Google Accounts eingeloggt sind UND das Video auf unserer Seite starten findet ein Datenaustausch statt, dieser ist aber dank no-cookie deutlich geringer. Da sie aber bereits bei google eingeloggt sind, befinden sie sich eh schon in einer Position bei der ständig Daten ausgetauscht werden. Dann werden Cookies durch YouTube und andere Google-Dienste gesetzt. Ein Tracking unterbleibt allerdings. Es werden weniger Nutzerdaten an YouTube gesendet, keine an den Werbedienst DoubleClick. Wir integrieren youtube also mit sog. "Opt-in" - sie klicken zunächst den orangen Play Button, dann wird das Video vorgeladen, danach klicken Sie den roten Button, um das Video zu starten, wenn die dann bei youtube eingeloggt sind findet ein Tracking statt, sind sie nicht eingeloggt, dann bleibt es bei No Data. Dies ist in Chrome das Standardverhalten, wir haben es auch für Firefox etc. implementiert, damit sie nicht unbeabsichtigt ein Video starten, in Firefox würde das Video ansonsten schon direkt nach dem orangenen Button starten. Also: Solange sie das Video auf unserer Seite starten, und nicht bei google eingeloggt sind, findet kein Datenaustausch statt, wechseln sie zu youtube, dann findet ein Datenaustausch statt, auch wenn sie nicht eingeloggt sind.

Hier muss man aber auch mal sagen, dass youtube und damit google sich von allen Anbietern abhebt, da sie sich wirklich bemühen transparent und offen mit den Fragen des Datenschutzes umzugehen. Die personalisierte Werbung ist eben das Geschäftsmodell. Im Grunde ist das alles nur wichtig, wenn sie umfangreiche Accounts bei vielen Netzwerken anlegen, dort auch noch ihre echten Daten hinterlegen und diese Netze dann miteinander verknüpfen. Viele Cookies, die in der Regel gesetzt werden sind reine Session Cookies, die nur der Technik dienen und keinerlei Daten beinhalten, dafür ein Banner zu setzen zeigt mit wem wir es zu tun haben. Bürokraten. Wie auch immer wir setzen gar keine Cookies. Wir haben uns bemüht immer möglichst einfache Wege zu gehen, die ihnen den vollen Genuss ermöglichen, ohne in irgendwelche Datenfallen zu tappen. Diesen Anteil der DSGVO mit Banner und Warnung etc. halten wir für kompletten Schwachsinn. Wir zeigen, wie man es richtig macht. Das Banner etc. klickt eh jeder weg, der nicht völlig paranoid ist, sie gehen mit diesen Cookies auch nur ein sehr geringes Risiko ein, sie können ihren Browser so einstellen, dass alle Daten beim Schließen gelöscht werden, dann starten sie mit einem leeren Browser, und der ganze DSGVO Scheiß ist latte. Es bleibt ein Rätsel, warum nicht die Hersteller der Browser in Haftung genommen werden. Diese Browser sind bewusst auf das sog. Thin Client Modell getrimmt, das bedeutet, der Server entscheidet. Zwingt man die Browserhersteller also diese Fenster zur Welt so zu programmieren, dass die Defaulteinstellungen zunächst alles Blocken, und die Daten nach jeder Session löschen, kann man sich das ganze Theater sparen. Der Browser müsste also zur Datenschutzschaltstelle werden, nicht irgendwelche Websites serverseitig, dann lässt sich das alles auch nicht mehr einfach umgehen. Das ist ein fundamentaler und peinlicher Denkfehler, der sich eigentlich nur mit Lobbyarbeit erklären lässt. Am besten wäre den Browser zu einem FatClient zu machen. Aber das führt hier zu weit. Der Aufwand in der Entwicklung und damit die Kosten für Unternehmen stehen mal wieder in keinem Verhältnis zum Nutzen, weil man nicht über der Browser geht. Wir können es uns leisten den Content kostenlos anzubieten, weil wir andere Finanzierungsquellen haben, aber, Anbieter, die diese nicht haben und guten Content bieten wollen, müssen eben bis zu einem gewissen Grad Daten austauschen, das ist die einzige Währung, die zählt. Also, besser ist es, sie selbst sorgen dafür, dass ihre Daten wenig aussagekräftig sind, die können sie ja übermitteln, dann haben alle was davon. Die EU hat in dieser Frage einen an der Waffel, weil die nicht die individuelle Verantwortung in den Mittelpunkt stellt, sondern paternalistische Webanbieter erzeugt, die den Verbraucher bevormunden sollen, das ist nicht unser Ding. Aber bitte, so wie wir es machen gibt es so oder so keine Probleme und das dämliche Banner bleibt weg. Wir können nichts dafür, wenn jemand auf diese Seite verlinkt, das können wir leider bisher nicht verhindern - wir arbeiten dran. Daher raten wir auch davon ab, einen Link zu setzen. Das hier ist Medienkunst - eine digitale Flaschenpost, die sie ALLEIN UND GANZ PERSÖNLICH FÜR SICH zufällig gefunden haben in den unendlichen Weiten des digitalen Ozeans des Schwachsinns. Sie verlinken ja auch keine Skulpturen oder schmieren sie im Museum mit ihren Kommentaren voll. Festkleben könnt ihr euch ruhig, das ist okay, aber macht das Gerät hinterher wieder sauber.

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